Nowhere Special
Großbritannien, Italien, Polen 2020, Laufzeit: 96 Min., FSK 6
Regie: Uberto Pasolini
Darsteller: James Norton, Valene Kane, Keith McErlean
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Sensibles Familiendrama um Liebe und Tod
Diesseits und Jenseits
„Nowhere Special“ von Uberto Pasolini
Sieben Jahre ist es her, dass wir Mr. May dabei begleiten durften, wie er im Dienste der Stadt London einsamen Verstorbenen das letzte Geleit gab, bis er sich aufgrund von Sparmaßnahmen daran macht, Familie und Freunde seines allerletzten ‚Klienten‘ ausfindig zu machen. Für „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ („Still Life“) aus dem Jahr 2013 hat Uberto Pasolini seinerzeit neben vielen anderen Preisen vier Auszeichnungen auf dem Venedig Film Festival erhalten, darunter den Preis für die beste Regie. Seine sensible Regieführung hat nicht nur die Jury überzeugt, sondern auch das Publikum. Das musste nun einige Jahre auf einen neuen Film des Regisseurs warten, der in Rom geboren, jung als Banker nach London kam, um dann dem Film zu verfallen. Die Thematik des neuen Films hat durchaus Parallelen zum Vorgänger: John, Mitte 30, ist in einem Heim aufgewachsen. Höhere Bildung hat er keine genossen. Er arbeitet als zuverlässiger Fensterputzer in der kleinen nordirischen Stadt, in der er mit seinem Sohn, dem vierjährigen Michael, alleine wohnt, seit die Mutter des Kindes ein halbes Jahr nach dessen Geburt in ihre Heimat Russland zurückgekehrt ist. Neben dem üblichen Alltag hat sich in letzter Zeit ein neues Ritual in das Leben der beiden eingeschlichen: Sie besuchen an den Wochenenden ‚Freunde‘. Beziehungsweise: Sie besuchen Fremde, die vielleicht Freunde sein könnten. Oder Familie. Michael ist das alles nicht ganz klar, denn er versteht bei den Gesprächen zwischen seinem Vater und den anderen Erwachsenen nicht ganz, worum es geht. Nur dass er im Mittelpunkt der Gespräche steht scheint ihm aufzufallen. Was er nicht weiß: Sein Vater sucht eine neue Familie für ihn. Er will geeignete Kandidaten finden, die Michael adoptieren. Nicht, weil er Michael, den er über alles liebt, verlassen will, so wie es sein Vater mit ihm gemacht hat, sondern weil er ihn verlassen muss. John ist unheilbar an Krebs erkrankt und hat nicht mehr lange zu leben.
Die Ruhe, mit der Uberto Pasolini sein Thema angeht, ist erstaunlich. Kein großes Drama, kein Schrecken, nur der Alltag von John und Michael empfängt den Zuschauer und weist ihm langsam den Weg in diese Welt, mal traurige, mal schöne Welt mit kleinen Spielen am Nachmittag im Park und Gutenachtgeschichten am Abend. Im Zentrum steht John, der nur noch den einen Gedanken verfolgt: eine gute Familie für seinen Sohn zu finden, damit sein Sohn eine gute Zukunft hat, auch wenn er selber längst fort ist. Doch eigentlich ist er schon halb fort. Das merkt man, wenn er bei seiner Arbeit durch die Scheiben seiner Kunden blickt, in die Räume anderer Leben, mit einem Blick, der sagt, dass er seines schon fast beendet hat. Doch dass er noch nicht losgelassen hat merkt man daran, wie schwer ihm die Entscheidung fällt, eine Familie für Michael auszuwählen. Der Gedanke, er könnte die falsche auswählen, lässt ihn fast verzweifeln.
Der rumänische Kameramann Marius Panduru, vor allem bekannt für seine unruhigen, spielerischen Bilder für die Filme des Rumänen Radu Jude („Aferim!!“, „Bad Luck Banging or Loony Porn“), zeigt sich hier von einer anderen, sehr ruhigen Seite. Verspielt sind die statischen Bilder dennoch, vor allem, wenn noch schmutzige, gerade eingeseifte oder bereits gereinigte Fensterscheiben Blicke frei geben in allerlei fremde Lebenswelten, hinter den Glasscheiben oder in ihrer Spiegelung. Die Ruhe der Bilder wird auf der Ebene der Dialoge weitergetragen. Zwar gibt es viele Gesprächsszenen – zwischen John und der Adoptionsbehörde, seinen Kunden und Michaels potentiellen neuen Familien. Doch häufig erzählen die kleinen Details in Gesten, Mimik und Blicken vom Innenleben der Hauptfiguren Michael und John. Die gemeinsamen intimen Momente von Vater und Sohn bringt der Film mit einer Zärtlichkeit auf die Leinwand, die einem im Angesicht der Hintergründe mitunter den Atem rauben, dann wieder wie filmische Trauerarbeit wirken. Neben dem betörenden vierjährigen Daniel Lamont als Michael steht James Norton („Little Women“) als John vor der Kamera. Im Gegensatz zu seiner Figur liegt eventuell eine große Zukunft vor ihm: Er wird derzeit als Favorit um die Nachfolge von Daniel Craig als James Bond gehandelt.
(Christian Meyer-Pröpstl)
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