Raum
Irland, Kanada 2015, Laufzeit: 118 Min., FSK 12
Regie: Lenny Abrahamson
Darsteller: Brie Larson, Jacob Tremblay, Sean Bridgers, Joan Allen, William H. Macy
>> www.raum-derfilm.de/
Mutter-Kind-Entführungsdrama
Alice vor dem Wunderland
„Raum“ von Lenny Abrahamson
Der Österreicher Josef Fritzl hielt 24 Jahre lang seine Tochter gefangen, vergewaltigte sie und zeugte mit ihr sieben Kinder, von denen er drei ebenfalls eingekerkert hielt. Das Verbrechen inspirierte die irische Schriftstellerin Emma Donoghue 2010 zu ihrem Roman „Raum“. Die Geschichte einer entführten Mutter, ihres in Gefangenschaft geborenen Kindes und dem Leben nach der Befreiung. Donoghue verfasste selbst das Drehbuch, Lenny Abrahamson („Frank“) übernahm die Regie.
Jack (Jacob Tremblay) ist gerade fünf Jahre alt geworden. Er ist lebensfroh und sprüht vor Fantasie. Gemeinsam mit seiner Mutter (Brie Larson) spielt er, tobt und trotzt, sie schaut mit ihm Fernsehen oder erzählt ihm von „Alice im Wunderland“. Ein harmonisches Miteinander. Nur wohnen die beiden eingesperrt in einem neun Quadratmeter großen Raum. Vor sieben Jahren wurde sie von einem Fremden entführt, eingesperrt und wird seither regelmäßig von ihm vergewaltigt. Jack ist ihr gemeinsamer Sohn. Jetzt aber, wo er fünf geworden ist, beschließt die Mutter: „Keine Kindergeschichten mehr!“ Und spätestens, als Jack beim Fluchtversuch unbekannten Boden unter den Füßen spürt, ahnt er, dass es noch eine Welt gibt dort draußen gibt, von der er bisher nichts geahnt hatte. Einer seiner ersten Wünsche in der Freiheit indes ist, schlafen zu gehen: ins Bett, im Raum, zu Hause. Denn dort hat er so oft gedacht: Das Leben ist schön. In seinem Gefängnis, das er nicht als solches wahrgenommen hat, weil seine Mutter die Illusion aufrecht erhalten hatte, es wäre keins. Um ihren Sohn zu schützen. Um ihm die Erkenntnis des realen, unendlichen Schreckens nicht zuzumuten. Ähnlich, wie es 1997 Roberto Benigni in seinem Oscar-prämierten „Das Leben ist schön“ getan hat, in dem er gegenüber seinem kleinen Filmsohn ein KZ zum Ort eines aufregenden Spiels verklärte.
Beide Filme erzählen gleichermaßen von den Gräueltaten Erwachsener, von dem Schutzmantel elterlicher Liebe und der Kraft der kindlichen Phantasie. Beide Filme haben einen märchenhaften Ansatz. „Raum“ indes geht weiter und folgt in seiner zweiten Hälfte noch dem Aufbruch der Illusion, die von Jack aus dem Off kommentiert wird. Nun gibt es plötzlich Menschen und Treppen, Pfannkuchen und Medien. Und es gibt noch andere Menschen. Großeltern und Journalisten. Das Drama folgt dabei auch dem Erleben der traumatisierten Mutter. Eine, unsere ganze Welt bricht herein über Mutter und Sohn, und um das alles auf die Leinwand zu bannen, dazu reicht die zweite Hälfte des Films nicht. So gelingt es Abrahamson nur, die Konflikte und das Erleben der Betroffenen und ihrer Angehörigen anzureißen, ohne sie emotional oder psychologisch zu vertiefen. Eine Reise wie im Zeitraffer, die dem Erleben der zwei Befreiten vielleicht wiederum sehr nahe kommt. Der Zuschauer bekommt derweil reichlich Denkanstöße mit auf den Weg, denen er nach dem Abspann noch ausgiebig folgen kann. Aber das hat ja noch keinem Film geschadet. Und so bleibt „Raum“, trotz oder wegen seines narrativen Tempos, äußerst anregend.
Oscars 2016: Beste Hauptdarstellerin, Brie Larson
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(Hartmut Ernst)
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