Bei den diesjährigen Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen räumte der Beitrag „Sans-titre“ ab – ohne Titel. Doch ohne Titel fühlt sich so mancher im Stich gelassen. Was drauf steht, soll auch drin sein, ist die weit verbreitete Auffassung. Und auch umgekehrt möchten die wenigsten eine Pralinenschachtel, von der man nicht weiß, was drin ist. Bei Filmtiteln wie „Night of the living dead“ erwartet niemand eine zuckersüße Liebesgeschichte, und bei „Jungfrau (40), männlich, sucht …“ niemand einen anspruchsvollen Politthriller. Titel sind gewissermaßen ein Versprechen an den Konsumenten. Manche Titel dagegen lassen den Inhalt offen wie „Das Schweigen der Lämmer", manche spielen mit ihrer Doppeldeutigkeit wie jüngst „Hell“. Und wieder andere sind bewusst ironisch, führen zunächst gezielt in die Irre und überraschen letzten Endes doch mit ihrer treffsicheren Genauigkeit. So ein Film ist „Dicke Mädchen“ von Axel Ranisch, der auf dem 22. Kinofest Lünen den Berndt-Media Preis für den besten Filmtitel gewann. „Dicke Mädchen“ ist nicht der geschmacklose Titel für einen Film über Jugendliche mit Gewichtsproblemen, sondern betitelt einen Low Budget-Film, der die Gefühlsloopingbahn drei liebenswerter aber auch trauriger Charaktere nachfährt. Dieser Film konnte in Lünen so überzeugen, dass er auch den Preis für das beste Drehbuch gewann. Ein Beispiel dafür, dass großes Kino nicht gleichzusetzen ist mit großen, aufwändigen Filmen.
Lünen wartete mit weiteren Preisen auf. Der Preis für Frauen in der Filmbranche „Perle“ ging an Jenny Rosler, die für das Szenenbild in dem leider sehr aktuell gewordenen Film „Kriegerin“ verantwortlich ist. „Kriegerin“ beschreibt den Weg einer jungen Frau innerhalb der rechtsradikalen Szene und aus dieser heraus. Die Jury lobte die detaillierte Inszenierung des Dramas, die von einer sorgfältigen Recherche zeugt. Auch die Jury 16+ zeigte sich von David Wnendts Film beeindruckt und fühlte sich als Zielgruppe der Schüler besonders angesprochen. Weniger dramatisch vergab die Jury 10+ ihren Preis an „Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel“. Die Schüler befanden, dass die Verfilmung von Cornelia Funkes Roman über den Wert von Weihnachten und Freundschaft ein klare, für sie wichtige Aussage habe. Und auch hier wurde wieder ein Film zweifach prämiert, denn der Weihnachtsfilm gewann ebenfalls den Kinder- und Jugendfilmpreis „Rakete“. Die anwesenden Darsteller wurden mindestens ebenso gefeiert wie der Film. Sie verteilten Autogramme und konnten sowohl Jung als auch Alt begeistern. Dieses Jahr wurde zum ersten Mal auch das Ruhrgebiet als Heimat für Film und Filmemacher honoriert. Den Preis „Ruhrpott“ vergab die dreiköpfige Leserjury an „Ein Tick anders“, dessen Regisseur Andi Rogenhagen im Ruhrgebiet aufgewachsen ist. Der in Deutschland erfolgreiche Film erzählt die kuriose Geschichte von Eva, die unter dem Tourette-Syndrom leidet. Doch der große Preis des Kinofestes ging an den Dokumentarfilm „Berg Fidel“ von Hella Wenders. Die „Lüdia“, die dem Fräulein am Lünener Marktplatz nachempfunden ist, sah das Publikum bei Regisseurin Hella Wenders am besten aufgehoben. Sie dokumentierte in ihrem Abschlussfilm der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin die namensgebende Grundschule in Münster und ihren integrativen Unterricht. Das Publikum war von den kleinen Protagonisten, die alle auf ihre Weise in dieser Welt leben und diese Welt meistern, hingerissen.
Mit dieser Bilanz endete das Kinofest Lünen am späten Abend des 13.11. Vier Tage mit vielen Filmen, vielen Gästen wie u.a. Elmar Wepper, Jimi Blue Ochsenknecht und Hermine Huntgeburth waren der Preisverleihung vorausgegangen. Beim Kinofest Lünen führte der Titel „Festival für deutsche Filme“ nicht in die Irre. Es war drin, was auch drauf stand. Für ein Festival nicht das Schlechteste …
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Auf ein Neues: Lünen wieder Filmstadt
27. Kinofest Lünen vom 10.-13.11.2016
Schwer zu bergende Filmkunstperlen – Kinos bitte melden!
26. Kinofest Lünen vom 12. bis 15. November – Festival 11/15
Das Publikum als Souverän
Kinofest Lünen feiert ab 13. November seinen 25. Geburtstag – Festival 11/14
"Die Vielfalt findet auf Festivals statt"
Interview mit dem Kinofestleiter Mike Wiedemann - Festival 11/14
Das Kinofest Lünen wird 25
Zum Jubiläum reisen Kinobesucher vom 13. bis 16. November durch Skandinavien, Mexiko und den Pott - Festival 11/14
Blühende Landschaften
Das Kinofest Lünen feiert zum 22. Mal den Deutschen Film – Festival 11/11
Eine cineastische Pilgerfahrt
Das Kinofest Lünen geht in die 23. Runde - 11/12
"Zwei Leben" in Einem
Lünen eröffnete mit "Zwei Leben" das 23. Kinofest 2012
Intim und jenseits der Norm
Die Gewinner des Kinofestes Lünen 2012 - Festival 11/12
In Lünen erzählt man vom Leben
Das Festival für den deutschsprachigen Film jährt sich zum 21. Mal – Festival 11/10
Eine runde Sache
20. Kinofest Lünen vom 19. bis 22. November in der Cineworld - Festival 11/09
Lünen im 21. Jahr(hundert)
Bilanz vom 20. Kinofest Lünen – Festival 01/10
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23
Herbstzeit – Kinozeit
European Arthouse Cinema Day – Festival 11/22
Feministische Gegennarrative
Das Internationale Frauen* Film Fest kehrt zurück ins Kino – Festival 03/22
Beim Filmemachen zugucken
Das 2. Japanese Film Festival – Festival 02/22
Vom Kleinen zum ganz Großen
„Stranger than Fiction“ traut sich was – Festival 02/22
Arthaus-Werbung mit Mehrwert
Der 6. European Arthouse-Cinema Day – Festival 11/21
Vom Kolonialismus zum Postkolonialismus
18. Afrika Film Festival blickt auf Historie und Gegenwart – Festival 09/21
Vor dem Ton
Die Internationalen Stummfilmtage in Bonn – Festival 08/21
Kannste dir nicht ausdenken …
Neue Nachrichten aus einer verrückten Welt – Festival 02/20
Aus weiblicher Perspektive
Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln – Festival 04/19
Große Stars und kleine Leute
Außergewöhnliche Biografien bei „Stranger than Fiction“ – Festival 01/18
Mehr Mut
Bei den 31. Teddy Awards auf der Berlinale ging es um Toleranz – Festival 02/17