engels: Herr Schwerfel, vor zwei Jahren bemerkten Sie im Interview mit engels, dass einerseits die künstlerischen Filme im Kino zunehmen, andererseits die Bereitschaft beim Publikum, 'schwierige' Filme anzusehen, nachlässt. Hat sich der Eindruck bestätigt oder gar verstärkt?
Heinz Peter Schwerfel: Wir haben als Vorschau am 18. September „Hunger“ von Steve McQueen gezeigt. Der Film startet in Deutschland mit einer einzigen Kopie – gleichzeitig mit dem DVD-Start. Er hat aber eine ungeheuer positive Presse. Shirin Neshat hat einen Film gemacht, der in Venedig gelaufen ist und keinen Verleih hat. Es gibt eine Reihe solcher Beispiele. Die Frage ist: Finden die Filme keinen Verleih, weil das Publikum nicht da ist, oder ist das Publikum nicht da, weil die Filme nicht richtig im Angebot sind? Ich glaube weiterhin, dass es die Tendenz gibt, dass mehr und mehr Filme von Bildenden Künstlern ins Kino kommen. Ich glaube aber auch, dass der künstlerische Kinofilm zurzeit große Probleme hat, ans Publikum zu kommen. Ich weiß nicht, ob das mit einem Kinosterben, mit der Veränderung von Sehgewohnheiten oder mit einer 'Verblödung' des Publikums zu begründen ist – dass die Menschen nichts mehr sehen wollen, was viel von ihnen verlangt. Gibt es also einen Trend zu Unterhaltung und Comedy wie in der Literatur? Das sind die Fragen, die ich mir stelle, und wenn ich mir zurzeit das Kinoprogramm anschaue.
Vor zwei Jahren gab es ein deutliches Zeichen, den Kinoanteil im Programm zu stärken. Damals war die von Ihnen erwähnte Shirin Neshat in der Jury, eine Videokünstlerin, die zu der Zeit ihren ersten Spielfilm drehte. In diesem Jahr haben sie mit Gus van Sant das Gegenstück als Präsidenten gewählt: einen Spielfilmregisseur, der mehr und mehr in Richtung Kunstfilm geht...
In Frankreich ist die siebte Kunst automatisch Kino – in Deutschland nicht. Ich möchte deshalb den Bogen von der Bildenden Kunst zum Kino spannen – zu Filmen, die man als Kunstwerk bezeichnen kann. Die gibt es in der Filmgeschichte ja sowieso: Wenn ich bestimmte Filme von Michelangelo Antonioni als Kunstwerk bezeichnen würde, würde das niemand bestreiten...
…oder auch populärere Filme...
Genau: Populär und Kunst widerspricht sich ja absolut nicht.
Dann überrascht aber ein Blick auf die Spielorte: Einerseits fällt der Kölnische Kunstverein weg, andererseits kommt ein Multiplex wie das Cinedom hinzu. Wie kommt es zu dieser Verschiebung des Akzentes?
Der Ausfall des Kunstvereins ist eine unfreiwillige Entscheidung, weil der Kinosaal renoviert wird. Wir haben uns da immer sehr wohl gefühlt. Wir brauchen aber einen zweiten Saal mit mindestens 200 Plätzen, und da gibt es in Köln nicht so viele, die unseren Ansprüchen genügen und außerdem aus dem normalen Verleihprogramm für fünf oder sechs Tage ausscheren können. Wir haben dann überlegt, dass wir uns in die Höhle des Löwen begeben, wo sehr viel Kommerzielles gespielt wird – völlig richtig. Auf der anderen Seite sind die technischen Bedingungen hervorragend, und da wir dort direkt zwei Kinos belegen, schaffen wir es vielleicht, einen Schwerpunkt zu schaffen, der sich aus dem Angebot heraushebt.
In Köln gibt es mit der Kunsthochschule für Medien (KHM) und der Internationalen Filmschule (ifs) gleich zwei Filmschmieden. Hilft dieser regionale Background bei der Etablierung des Festivals?
Das hilft uns, weil durch die Präsenz der beiden Filmschulen klar ist, dass Köln eine Stadt ist, die in diesem Bereich große Ambitionen hat. Durch die Schulen gibt es natürlich auch schon Gruppen, die sich für das interessieren, was wir da machen. Und außerdem erlaubt es uns eine Zusammenarbeit: Wir werden in der KHM wieder ein Symposium machen, dieses Mal über Experimentalfilm. Und wir machen eine große Retrospektive zum Kameramann Ed Lachmann, der eine Klasse in der ifs unterrichten wird.
Als Filmstadt ist Köln gut positioniert, als Kunststandort hingegen lange abgefallen. Kann die KunstFilmBiennale daran etwas ändern?
Zumindest machen wir mit der KunstFilmBiennale etwas, das weltweit vielleicht einmalig ist. Es ist uns gelungen, das international auch durchzusetzen. Wir machen On Tour-Programme, wo wir in Madrid, Paris, Istanbul, Berlin oder Rio de Janeiro gastieren. Die KunstFilmBiennale hat in der Kunstszene – das Engagement in der Kinoszene ist ja neu – international einen sehr guten Ruf. Dadurch hat Köln in der Bildenden Kunst wieder von sich reden gemacht. Das haben inzwischen auch in Köln viele verstanden. Eine ganze Reihe von teils sehr bedeutenden Kunstgalerien zeigt zeitgleich Ausstellungen von Künstlern, die mit dem bewegten Bild arbeiten – darauf bin ich sehr stolz! Und das Museum Ludwig eröffnet gleichzeitig eine Ausstellung von Harun Farocki, der bei uns in der Jury sitzen wird. Die Verzahnungen und Überlappungen in Köln sind dieses Jahr sehr präsent. Köln weiß natürlich, dass es um den Ruf des Standorts für Bildende Kunst zu kämpfen hat, und da entwickelt sich zurzeit eine Energie, die auch für uns sehr positiv ist. Seit zwei Jahren unterstützt uns das Medienreferat finanziell, zuvor hat das Kulturreferat nur vermittelnd geholfen.
Von Köln nach Bonn: Vor zwei Jahren wurde die KunstFilmBiennale nach
Bonn ausgeweitet. Setzen Sie ihre Bemühungen in Richtung Süden fort?
Ja, das bauen wir aus: Wir zeigen im Kunstmuseum Bonn dieses Mal auch Programme, die in Köln nicht laufen. Außerdem ist es uns gelungen, die Kunst- und Ausstellungshalle zu gewinnen. Dort sind wir mit dem Internationalen Wettbewerb, filmhistorischen Programmen und Retrospektiven von Pipilotti Rist und Christian Jankowski vertreten. Außerdem wird es eine große Podiumsdiskussion um den Stellenwert von Museum und Kino geben. Salopp gesprochen: Kino versus Museum, um die Thematik des Spielortes noch einmal zu erörtern.
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