Kinder und Jugendliche sind nicht nur die Kinozuschauer von morgen, sondern auch schon die von heute. Ganz besonders in der Lichtburg Oberhausen, in der das Programm für die Jüngeren traditionell ernst genommen wird (siehe auch Interview mit Theaterleiterin Petra Rockenfeller). Und natürlich auch bei den Kurzfilmtagen, die dort in diesem Jahr zum 57. Mal stattfinden und bereits zum 34. Mal ein eigenes Kinder- und Jugendfilmprogramm zu bieten haben. Das ist nicht nur nach den gängigen FSK-Altersfreigabe-Richtlinien aufgeteilt (ohne Altersbeschränkung, ab 6 Jahren, ab 12 Jahren, ab 16 Jahren), sondern bietet noch zusätzliche Unterklassifizierungen (ab 3 Jahren, ab 8 Jahren, ab 10 Jahren und ab 14 Jahren), um den sich fast von Jahr zu Jahr verändernden Lebenssituationen und entsprechenden Interessenkomplexen der Heranwachsenden gerecht zu werden. Mit dem „Programm ab 14“ stecken wir also quasi mittendrin in der Pubertät, weswegen sich auch tatsächlich die meisten der hier ausgewählten Filme mit Liebesdingen und erwachender Sexualität auseinandersetzen.
„Aglaée“, ein Film des Franzosen Rudi Rosenberg, der diesen Programmblock eröffnet, ist schon direkt einer der stärksten der Kompilation. Benoîts Mutprobe besteht darin, der behinderten Mitschülerin Aglaée einen Brief zu überbringen, in dem er sie um ein Date bittet. Natürlich ist das nicht ernst gemeint, denn das Mädchen ist in den Augen der Jungengang das „hässlichste in ganz Frankreich“. Aber sowohl Aglaées Antwort als auch Benoîts Reaktion darauf fallen anders aus, als man vielleicht erwarten würde. Rosenberg hat sich hier stilsicher in die Welt der Pubertierenden begeben und mit sehr poetischen und dezenten Mitteln ein Plädoyer gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung geschaffen.
In „Reflux“ von Pauline Goasmat stehen zwei Teenager am Schlusspunkt ihrer einjährigen Beziehung. Auf einer Sanddüne am Meer gibt Julien seiner Freundin Mari den Laufpass. Diese ist mit der unerwarteten Situation und den damit einhergehenden neuen Gefühlen so überfordert, dass sie die Szene wieder und wieder erlebt, mit kleinen Wendungen und damit verbundenem Reifeprozess. Auch in diesem französischen Film wird auf poetische und zunehmend komische Weise mit einer ernsten Thematik umgegangen, die damit speziell einem jungen Publikum interessante und nützliche Einblicke verschaffen kann.
Etwas aus dem Rahmen fällt der einzige deutsche Beitrag dieses Programmblocks, Veronika Samartsevas „Wandernd Haus voll Vogelwasser“. Schon der Titel deutet die Sperrigkeit der Thematik an, die jüngere Zuschauer doch ein wenig überfordern dürfte. In einer Mischung aus zweidimensionaler Legetrickanimation und dreidimensionaler Stop-Motion-Technik ist ein optisch interessantes Werk entstanden, das ohne Text auskommt und assoziativ in die Gedankenwelt einer jungen Frau eintaucht. Dabei ist es gleichermaßen symbolisch überfrachtet wie thematisch durch seine Offenheit zu indifferent.
Zurück in die Halloweennacht des Jahres 1974 führt uns Jeremy Engle in seinem Beitrag „Mosquito“. Der 13jährige Cesar mit dem Spitznamen „Mosquito“ muss sich darin von einigen älteren Jugendlichen drangsalieren lassen. Doch sein Mut und seine Ausdauer verhelfen ihm am Ende zu mehr Respekt und sogar Bewunderung von Seiten der anderen. Die 70er-Jahre-Atmosphäre und die grandiosen Afrofrisuren tragen stark zum Gelingen dieses liebenswerten Bandenfilms bei. Mit Witz und Einfallsreichtum entwirft Engle das Porträt eines Heranwachsenden, bei dem die Allgemeingültigkeit und Aktualität der Geschichte auch heute noch unvermindert gegeben ist.
„Someone Else“ von Susanna Wallin ähnelt in seiner Offenheit und Interpretationsfähigkeit ein wenig dem „Wandernd Haus voll Vogelwasser“ und bleibt deswegen nicht nur für die anvisierte Zielgruppe rätselhaft und schwer verdaulich. Was der Pressetext als „vorsichtige Balanceakte zwischen Realität und Fantasie“ beschreibt, sind assoziative Bilderketten mit blumigen Off-Kommentaren, deren Sinn sich nur einem sehr empfänglichen Publikum wirklich erschließen dürfte. Dieser Film hätte wohl auch in den meisten anderen Programmblöcken eher für Verwunderung als Verständnis gesorgt.
Als krönenden Abschluss der sechs Filme umfassenden Zusammenstellung hat man den schwedischen Beitrag „Kleine Kinder, große Worte“ (Små barn, stora ord) ausgewählt, der die Zuschauer schwer beeindruckt und ein wenig sprachlos zurücklässt. Der siebenjährige Alex gibt bei der Diskussion in der Klasse an, dass er später einmal Vergewaltiger werden möchte. Die meisten seiner Mitschüler kennen das Wort gar nicht, das ihnen ihre Lehrerin dann auf berührende Weise zu erläutern versteht. Die Filmemacherin Lisa James Larsson hat sich mit viel Fingerspitzengefühl dieser heiklen Thematik angenommen, lässt tief in das Seelenleben ihrer Figuren blicken und hat so eine Geschichte erzählt, die in zwölf Minuten mehr zu bieten hat, als so mancher abendfüllende Spielfilm.
Mehr zum Programm der Kurzfilmtage unter:
www.kurzfilmtage.de
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