Am Ende ergeht es dem Zuschauer – zumindest für einen Wimpernschlag – so, wie den Schauspielern das ganze Stück über: Geblendet von den auf sie gerichteten Scheinwerfern „sehen“ sie nur bis zum Bühnenrand. Dabei passiert in diesem Moment jener titelgebende Augenblick, auf den David Yazbeks (Musik, Liedtexte) und Terence McNallys (Buch) Musical hingearbeitet hat.
Es ist die dem englischen Kultfilm „The Full Monty“ (1997, Regie: Peter Cattaneo) entliehene Geschichte von einem Dutzend Arbeitsloser, die sich ihre leeren Taschen ausgerechnet durch das Abstreifen ihrer Hosen füllen wollen. Aber im Gegensatz zu ihren berühmten Vorbildern, den „Chippendales“, wollen sie „alles“ zeigen.
Und so überredet Jerry (David Jacobs), auch weil er „Kohle“ für den Unterhalt seines Sohnes Nathan braucht, den rundlichen Dave (Patrick Stanke) und gemeinsam dann den selbstmordgefährdeten Malcolm (Tim Ludwig), der noch bei Mutti wohnt, zum Mitmachen. Ex-Abteilungsleiter Harold (Dirk Weiler), der farbige „Hengst“ Noah (Frank Odjidja) und Elton (Markus Schneider) komplettieren die Truppe, die sich nun mit Hilfe der Pianistin Jeanette (schräg: Johanna Schoppa) auf ihren Auftritt vorbereitet ...
Im „stählernen“ Bühnenbild von Heike Meixner, das durch geschickt eingesetzte Drehelemente und reingefahrene Kulissen sowohl als Fabrikgelände wie auch als Wohnidylle funktioniert, hat Regisseur Gil Mehmert bravourös die Stärken des Musicals herausgearbeitet. Und die liegen nicht in den wenig ohrwurmverdächtigen Liedern, sondern in der fein zwischen Milieustudie und Komödie austarierten Geschichte, die selbst da einen gehörigen Schuss Optimismus verbreitet, wo eigentlich Verzweiflung herrscht. Vor allem besticht die Inszenierung durch den Respekt, den sie den Figuren entgegenbringt: Nie werden sie der Lächerlichkeit preisgegeben oder für billige Scherze missbraucht. Stattdessen setzt Mehmert auf die Beobachtung der Widersprüche, in die sich unsere Helden zwangsläufig verstricken, weil Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Und auf das amüsante Spiel mit der Geschlechtsidentität
in das sensibel auch die homoerotische Annäherung von Malcolm und Elton eingewoben ist. Die vom Buch vorgegebene Vernachlässigung der Frauenrollen wird durch die Spiellaune der Darstellerinnen ein wenig „geknackt“ – aber die Hauptlast des Stücks liegt eindeutig auf der proletarischen Stripper-Truppe, deren charismatische Darsteller eine wunderbare Ensemble-Leistung hinlegen. So fallen am Schluss nur zwei Wermutstropfen in diesen wohlschmeckenden Musical-Becher: Warum in aller Welt lässt man Jerrys Sohn von einer Frau (Tina Haas) spielen? Und wann lernen es die deutschen (Musical-)Tontechniker endlich, Orchester und Sänger so abzumischen, dass man die Texte versteht – die gerade hier in der gelungenen Übersetzung von Iris Schumacher und Frank Thannhäuser von Bedeutung sind.
Bonus: Im Düsseldorfer Schauspielhaus steht die großartige Susanne Tremper als Edith Piaf auf der Bühne. Mehr ein Konzert (mit biographischen Anmerkungen) als ein Musical, aber ein unvergesslicher musikalischer Abend.
„Ganz oder gar nicht“ I Theater Dortmund I 7./29.1., 19.30 Uhr I 0231 502 72 22
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