Es ist gerade einmal 25 Jahre her, da stellte sich die Musikindustrie in Deutschland völlig anders dar, als sie das heute tut: Es gab eine Handvoll Majorlabels, die nach und nach zu breit aufgestellten und international operierenden Konzernen der Unterhaltungsindustrie mutierten, und daneben gab es kaum etwas. Das ist heute anders: Die Majors haben sich aus weiten Teilen der ernsten Popmusik und ihrer Stilarten herausgezogen, dafür haben Independent-Labels diesen Markt übernommen. Diese Labels sind speziell in den USA und Großbritannien größer, weil traditionsreicher, in Deutschland dagegen zumeist auf kleinem Level agierend, mit wenigen Angestellten oder als Ein-Mann-Betrieb. Es gibt sie in Hamburg und Berlin in großer Zahl, auch in Köln, Frankfurt oder München. Nur im Ruhrgebiet, dem nächstgrößeren Ballungsraum des Landes, gibt es sie bloß in einigen wenigen Genres und Szenen. Während die Strukturen in Punk-Rock und Heavy Metal noch einigermaßen vorzeigbar sind, liegen sie im Bereich des Indie-Rock, immerhin eines der meistantizipierten Genres in Deutschland, nahezu komplett brach. Und nicht nur das, auch sonstige Strukturen und Netzwerke sind im Ruhrgebiet in dieser Szene die Ausnahme.
Eine der wenigen Bands, die versucht, sich zumindest auf einem gewissen Popularitätslevel landesweit zu etablieren, ist Chelsy aus Mülheim an der Ruhr. Für ihr gerade erschienenes zweites Album „Sweet Medicine“ gründete die Indie-Pop-Band ein eigenes Label namens „S&V“. „Genau genommen ist es eine Tochter eines größeren Labels, wir nutzen dessen Vertriebswege, machen aber sonst die ganze Arbeit selbst“, erzählt Martin Arlo Kroll, Sänger und Songschreiber Chelsys. Kroll und Band gibt es schon seit 2002, das nötige Knowhow sammelte das Trio aber schon zuvor. „Wir waren vorher Teil der Punk- und Hardcore-Szene, haben auch in solchen Bands gespielt. Darin gab es auch im Ruhrgebiet lebendige Strukturen, und man konnte die Leute einfach fragen, wie man etwas machen muss. Diesen Austausch gibt es im Indie-Rock nicht, eine Szene ist hier quasi nicht existent.“ Kroll sieht das aber nicht als reines Ruhrgebiets-, sondern deutschlandweites Problem. In England und Schweden etwa seien die Strukturen viel ausgeprägter.
Die Frage, warum gute Labelstrukturen hier so dünn sind, kann Kroll auch nicht abschließend beantworten. Sicher ist nur, dass logistische Unterstützung speziell in Skandinavien deutlich ausgeprägter ist. Größere Fonds wie der der „Initiative Musik“ kommen nur bereits gewachsenen Strukturen mit einem gewissen Umsatz zugute. An RUHR.2010 sind Chelsy in ein paar Aspekten indirekt angedockt, etwa durch einen Beitrag auf einem Sampler des Musikmagazins Visions. Aber auch abseits dessen knüpft Kroll Hoffnungen an die Kulturhauptstadt: „Ich denke, sie wird zumindest zu einer stärkeren Vernetzung führen. Man bekommt besser mit, wo im Ruhrgebiet sonst noch etwas passiert.“
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