Was haben Andrew Lloyd Webber und ABBA gemeinsam? Auf den ersten Blick offensichtlich wenig, Doch dann ergeben sich beim Blick auf ihre in Krefeld („Jesus Christ Superstar“) und Essen („Chess“) laufenden Musicals doch Schnittstellen. Beide Werke begannen ihren globalen Siegeszug als Hit-Single („Superstar“ bzw. „One Night in Bangkok“) und Konzeptalbum. Aber erst nach konzertanten Aufführungen wagte man den Sprung auf die Bühne. Hier allerdings schieden sich, zumindest bei „Chess“,die Erfolgsgeister: In London drei Jahre auf dem Spielplan strich die musikalische Schachnovelle am Broadway schon nach acht Wochen und einem Minus von 6 Mio. Dollar die Segel. Schachmatt. Was „Jesus Christ Superstar“ und „Chess“ noch verbindet, ist der gleiche Songtexter (Tim Rice) und das Bemühen von Benny Andersson und Björn Ulvaeus, nach dem Auseinandergehen von ABBA eine neue Herausforderung zu suchen. Da der Webber-Stil bei der Entstehung von „Chess“ (1984) die Musical-Szene beherrschte, versuchten auch sie sich an einer durchkomponierten, fast dialoglosen „Pop-Oper“. Vielleicht meint man deshalb die Rock-Oper „Jesus Christ Superstar“ in manchen Melodien wiederzuerkennen. Auch die beiden Inszenierungen am Niederrhein und im Ruhrgebiet haben eine Gemeinsamkeit: das geniale Bühnenbild. Während Günter Hellweg bei „Jesus Christ Superstar“ eher minimalistisch vorgeht und die „Guckkasten-Einheitsbühne“ mit flüchtig weiß übermaltem Zeitungspapier ausgestattet hat, fährt Dirk Becker im Aalto-Theater die ganze beeindruckende Bühnentechnik von Deutschlands vielleicht schönstem modernen Musentempel auf. Vier über dem Orchestergraben installierte weiße Schachfelder dienen ebenso als Spielfläche wie die Heb-, Senk- und Drehteile der Bühne und die auf ihr elektronisch bewegten Kulissen. Becker ist es auch, der letztlich aus dem Stück mehr herausholt, als ich ihm steckt. Da mögen sich die beiden Regisseure und Choreographen James de Groot und Paul Kribbe noch so viel Mühe geben. Tänzerisch ist bei „Chess“ wenig zu holen, und eine Story gibt es eigentlich auch nicht: eher das sportliche und private Duell zweier Spieler und Systeme in lose aneinandergefügten Szenen. Dabei haben es die Komponisten versäumt, dem russischen Schach-Ass einen Ohrwurm auf den Leib zu schreiben. So kann der ohnehin etwas steif agierende Serkan Kaya gegenüber seinen charismatischeren und stimmsichereren Partnern Henrik Wager (US-Champion) und Femke Soetenga (beider Geliebte) kaum Pluspunkte sammeln. Die wiederum sammelt das gesamte Ensemble in Krefeld mit einer Bühnenund Stimmpräsenz, die man in dieser Perfektion selten auf deutschen Musicalbühnen erlebt. Unter der konzentrierten Regie von Reinhardt Friese und dem facettenreichen Dirigat von Giuliano Betta wird ihre Interpretation der letzten sieben Tage der Lebens- und Leidensgeschichte des Nazareners zu einem nachhaltigen Erlebnis.
„Jesus Christ Superstar“, Theater Krefeld, 18.10.; 2./6./9./12./14./22.11 Karten: 02151 80 51 25
„Chess“, Aalto-Theater Essen, 28.9.; 2./4./26.10.; 1./16./29.11. Karten: 0201 812 22 00
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