Kaum eine Musicalrolle ist in den Köpfen der Genre-Liebhaber so besetzt wie die der Sally Bowles und des Conferenciers durch Liza Minelli und Joel Grey in der grandiosen Verfilmung von Bob Fosse (1972). Während die Minelli noch immer unerreichbar scheint, hat Joel Greys morbid-lüsterne Interpretation selbst hierzulande schon ernsthafte Konkurrenz gehabt. Wolfgang Reichmann war am Berliner Theater des Westens noch um eine Spur diabolischer, und der ins Publikum geschleuderte Zynismus von Georg Preuße alias Mary ließ einem das Lachen im Halse stecken bleiben. Mit der Bühnenpräsenz dieser beiden Rollen steht und fällt „Cabaret“. Und wenn man bei ihrer Besetzung nicht aus dem Vollen der geeigneten Darsteller schöpfen kann, muss man sich für die Inszenierung etwas einfallen lassen.
So kommt Werner Pichlers Inszenierung der Dramatisierung von Christopher Isherwoods zeitgenössisch-sarkastischn Erzählungen „Goodbye to Berlin“ (1939) durch John van Druten („I am a Camera“, 1952) wieder etwas näher als Joe Masteroffs Broadway-Fassung. Die Geschichte des amerikanischen Schriftstellers Clifford Bradshaw, der sich im Berlin der aufkommenden Nazi-Herrschaft in eine Nachtclubsängerin verliebt, spielt auf zwei Ebenen. Einmal im „Kit Kat Club“, wo er Sally kennenlernt und dann in der Pension von Fräulein Schneider, das von seinem jüdischen Nachbarn, Herrn Schultz, umworben wird. Der Conferencier verbindet und kommentiert mit seinen Sprüchen und Liedern das (Zeit-)Geschehen. Pichler hält den Darsteller des Conferenciers, Christian Sturm, hart an der Kandarre, lässt ihn nie die „Rampensau“ machen. Und das ist gut so, denn der gelernte Tenor scheint mit der Rolle doch etwas überfordert. So verpuffen sein „Two Ladies“ und „Sähet ihr sie mit meinen Augen“ ein wenig, weil er und die Inszenierung das politisch Hintergründige nicht auf den bitteren Punkt bringen. Auch Judith Jakob als Sally sprengt nicht gerade die Bühne, obwohl sie, besonders mit „Maybe This Time“, gesanglich durchaus überzeugen kann. Pichlers Entscheidung, sein Hauptaugenmerk auf die politisch-unkorrekte Beziehung von Fräulein Schneider (Ingeborg Wolff) und Herrn Schultz (Andreas Ramstein) zu richten, hilft ihm ein wenig aus der Bedrouille. Das Duett „Heirat“ der beiden Spät-Verliebten wird so zu einem der bewegendsten Momente des Abends. Wobei das Orchester unter dem Dirigat von Florian Frannek sehr sensibel auf ihre „Nicht“-Gesangsstimmen eingeht. Aber auch schauspielerisch verstehen es Wolff und Ramstein mit ihrem nuancierten Spiel, die dunklen Wolken, die über ihrer Beziehung aufsteigen, „sichtbar“ zu machen. Der Rest der Produktion kommt über braves Stadttheater-Niveau nicht hinaus.
Dreimal dürfen sie raten, wer den meisten Beifall bekommt? Richtig: Ingeborg Wolff und Andreas Ramstein. Und – nicht zu vergessen – der Appell des Ensembles an die Zuschauer, gegen die drohende Schließung des Wuppertaler Schauspielhauses auf die kommunalpolitischen Barrikaden zu gehen. Denn auch dieses Musical wäre ohne die „Leihgaben“ aus diesem Haus nicht möglich gewesen.
7./14./20./27.3. I 0202 569 44 44 I www.wuppertaler-buehnen.de
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