Wuppertal, 29.Januar – Es ist eine klassische Win-Win-Situation. „Als ich vom Konzept des Tanzrauschen-Festivals gehört habe, habe ich sofort meinen Film als Bewerbung nach Wuppertal geschickt“, sagt die französische Filmemacherin Marion Stalens. Und Tanzrauschen-Kurator Sigurd-Christian Evers ergänzt: „Bei der Programmgestaltung von Tanzrauschen habe ich direkt an Marion Stalens und ihre Dokumentation „Danse l`Afrique Danse“ gedacht.“
Schnell kam also ein Kontakt zwischen Wuppertal und Paris zustande und so konnte Stalens‘ Film gleich im Anschluss an die Eröffnungsgala des Videotanz-Festivals seine Deutschland-Premiere feiern. Das machte das Flair an diesem Abend in der Wuppertaler Börse gleich noch eine Spur internationaler und schloss dabei gleichzeitig die Lücke zwischen der Kunstform Dance-On-Screen, dem Kern des Festivals, und klassischem Dokumentarfilm.
Denn auch wenn „Danse l`Afrique Danse“ (im Gegensatz zu Dance-on-Screen) nicht nur reine Tanzszenen zeigt, ist der Film doch so unmittelbar auf das Tänzerische und die Tanzenden fokussiert, dass er die parallel gezeigten Videotanzfilme um eine wichtige Komponente ergänzte: Die Persönlichkeit der Tänzer und ihre Geschichten.
„Danse l`Afrique Danse“, das ist der Titel eines vom Institut français regelmäßig an wechselnden Orten in Afrika veranstalteten Contemporary-Dance-Festivals. Als dieses Treffen herausragender Tänzer 2012 in Bamako, der Hauptstadt von Mali, stattfand, machte sich Stalens auf den Weg. Ziemlich alleine: Gerade einmal ein malischer Soundtechniker begleitete sie – ansonsten stemmte die Filmemacherin fast alles in Eigenregie: Sie führte Interviews, besuchte zahlreiche Tanzaufführungen und war gleichzeitig ihre eigene Kamerafrau.
Herausgekommen ist ein Film, der nicht nur vom Tanzen sondern auch viel von Afrika erzählt. Keine leichte Aufgabe, wie Stalens zugibt. „Es gibt so viele schlechte Dokumentarfilme über diesen Kontinent“, sagt sie. Wie soll man auch über einen Teil der Welt berichten, der häufig von unfassbar viel Gewalt und Armut geprägt ist? Nimmt man dabei als Wohlstandseuropäer nicht zwangsläufig die Perspektive des klischeebehafteten Besserwissers oder gar des heimlichen Voyeurs an?
Zum Glück gibt es den Tanz, sagt Stalens. Denn der Tanz sei so etwas wie eine universelle Sprache – ein „neues Esperanto.“ Man muss dem Film nicht lange zuschauen, um zu verstehen, was sie meint: So unfassbar die Schicksale der Tänzer auf der Leinwand sind, so beeindruckend ist die Art und Weise, wie sie daraus große Tanzkunst machen und dabei ihren ganz eigenen Ausdruck finden. Da ist zum Beispiel der junge kongolesische Tänzer Florent Mahoukou, der nur knapp dem Genozid in seiner Heimat entkommen ist. Die ursprünglich aus Haiti stammende Tänzerin Kettly Noël, die in Mali ein Tanzzentrum aufgebaut hat und sich mit ihrem Tanz gleichzeitig für Frauenrechte einsetzt, die hier häufig auf massivste Weise missachtet werden. Oder Taoufik Izeddiou aus Marokko, der sich tanzend auf die Suche nach einer Identität jenseits tradierter Geschlechterrollen begibt.
Alle Protagonisten eint die absolute Hingabe an ihre Kunst und ein künstlerischer Ausdruck, der so kraftvoll ist, dass er scheinbar alle Gegensätze überwinden kann. Ein Traum, der sich in der Realität freilich häufig als Illusion erweist. Der Film ist da auch ein Zeitdokument: Während im Film noch die größte Gefahr von der manchmal xenophoben Rhetorik des damaligen französischen Präsidenten Sarkozy und der Gefahr des Stopps französischer Fördergelder auszugehen scheint, hat Mali seitdem eine Welle islamistischen Terrors erlebt. Und in Europa hat sich einiges an neuem Gift in den Ton gemischt, mit dem über die Menschen jenseits der EU-Außengrenzen gesprochen wird.
Und doch steht gerade der Tanz für die Hoffnung, sagt Stalens. Am Vorabend hat sie im Wuppertaler Opernhaus Pina Bauschs legendäres Stück „Cafe Müller“ besucht. „Ich denke, dass Pina Bausch auch ihre frühesten Kindheitserlebnisse während des Zweiten Weltkrieges in ihren Stücken verarbeitet hat“, sagt sie. Die wegweisende Kunst von Pina Bausch sei damit auch ein Symbol für die Auseinandersetzung und die Überwindung von Gewalt.
Marion Stalens jedenfalls fasste nach dem Ende der Dreharbeiten von „Danse l`Afrique Danse“ einen Entschluss: Sie begann selbst zu tanzen. Dabei spielte der Tanz im Film schon früher eine Rolle für sie: Auch in dem filmischen Portrait ihrer berühmten Schwester (Juliette Binoche, Die Wandelbare (2009)) kommt sie dieser in einigen Tanzszenen besonders nahe. „Meine Schwester hat den Tanz übrigens selbst erst sehr spät für sich entdeckt“, verrät Stalens. Und so ist es konsequent, dass die Filmemacherin auch den Tanzrauschen-BesucherInnen im Foyer des Wuppertaler Börse einen Ratschlag mit auf den Weg in das regennasse und außerhalb des Festivalsaals gänzlich unglamouröse Wuppertal gibt: „Fangen Sie an zu tanzen! Dafür ist es nie zu spät.“
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