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Paolo und Vittorio Taviani gewannen mit "Caesar must die" den Goldenen Bären.

Überraschungssieg für Taviani-Brüder

23. Februar 2012

Paolo und Vittorio Taviani, die Urgesteine des italienischen Films, gewannen mit ihrem in schwarz-weiß gedrehten Film "Caesar must die" den Goldenen Bären - Festival 02/12

Mit einer Überraschung gingen die 62. Berlinale zu Ende. Die Urgesteine des italienischen Films, Paolo und Vittorio Taviani, gewannen mit ihrem in schwarz-weiß gedrehten Film CAESAR MUST DIE den Goldenen Bären. Dieser war zwar wohlwollend aufgenommen worden, mit einer derartig hohen Ehrung hatten die meisten jedoch nicht gerechnet. Die italienischen Brüder beschreiben die Entstehung einer Inszenierung von „Julius Cäsar“ und holen damit den Stoff, den Shakespeare einst von Italien nach England brachte, zurück in ihr Land. Das Ungewöhnliche daran ist der Aufführungsort und die Schauspieler. Denn am Ende kehren diese zurück in ihre Zellen im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Rebibbia, wo sie zum Teil lebenslange Haftstrafen absitzen müssen. Shakespeares Text über Freiheit, Tyrannei und Mord ist ihnen schnell eingängig und ihr intensives und kraftvolles Spiel zeigt sie als Menschen, die durchaus einen Sinn für Kultur haben. „Seitdem ich weiß, was Kunst ist, ist diese Zelle für mich zum Gefängnis geworden“, bekennt der Cassio-Darsteller am Schluss des Films.

Der wahre Gewinner der Berlinale ist jedoch die von Lars von Trier mitproduzierte dänisch-tschechisch-deutsche Koproduktion Die KÖNIGIN UND DER LEIBARZT, die gleich zwei silberne Bären auf sich vereinigen konnte - Mikkel Boe Følsgaard für seine originelle Darstellung des dänischen Königs und Nicolay Arcel und Rasmus Heisterberg für ihr Drehbuch. Regisseur Nikolaj Arcel verfilmte dabei eine spannende Historiengeschichtegeschichte, eingebettet in den Geist der französischen Revolution. Er erzählt von der großen Freundschaft des dänischen Königs Christian VII mit dem deutschen Arzt und Aufklärer Johann F. Struensee (Mads Mikkelsen), die auf eine harte Probe gestellt wird, als sich die Frau des Königs in den Arzt verliebt. Das alles ist kinogerecht in Cinemascope umgesetzt und mit sympathischen Schauspielern besetzt. Es ist quasi eine Lanzelotgeschichte, die mit ihrer opulenten Ausstattung alle Ingredienzien für gutes Kino in sich trägt und tragisch endet. Dem Arzt, der für den um Besitz und Macht fürchtenden Adel eine Bedrohung darstellt, weil er ihre Privilegien beschneidet, der Aufklärung verpflichtet Presse- und Meinungsfreiheit durchsetzt, Folter und Leibeigenschaft abschafft und das Schulwesen reformiert, wird am Ende hingerichtet. Seine Gesetze werden zurück genommen und in den nächsten hundert Jahren eins nach dem anderen wieder eingeführt.

Auch LEBEWOHL, MEINE KÖNIGIN ist ein opulent ausgestatteter Kostümfilm, der die bedrohte Macht des Adels thematisiert. Als Eröffnungsfilm des Wettbewerbs wirft er, inszeniert nach dem Roman von Chantal Thomas, einen Blick auf die letzten Tage Marie Antoinettes aus der Sicht einer ihrer Bediensteten. Aus Sorge, dass ihr die Flucht misslingen könnte, befiehlt die Königin ihrer ihr treu ergebenen Vorleserin Sidonie, in ihren Kleidern in die Kutsche zu steigen und Versailles zu verlassen, ein Ablenkungsmanöver, dass ihr selbst die Flucht ermöglichen soll. Sidonie ist stolz über die vermeintliche Ehre und begreift erst spät, wenn überhaupt, das dieser Befehl nichts mit einer besonderen Zuneigung zu tun hat. Im Vergleich mit Sofia Coppolas geistreicher Version der letzten Tage der Monarchie tut sich Benoit Jacquot hier ein wenig schwer. Es gelingt ihm selten, den Zuschauer emotional mitzunehmen und auch die subjektive Kamera führt nicht dazu, dass sich ein greifbarer Eindruck jener Epoche herstellt. Was bei Coppola popartgerecht mit Pomp & Pralinés symbolisiert wurde, weicht hier einer merkwürdigen Stimmung aus Naivität und Verehrung, die noch dazu homoerotisch aufgeladen ist. Angesichts der äußeren Umstände bleibt der Film seltsam konturlos.

Und last but not least ging auch das britische Regie-Team Declan Donnellan und Nick Ormerod mit ihrer Verfilmung von Guy de Maupassants Roman BEL AMI mit einem Kostümfilm an den Start, der mit einer exquisiten Darsteller-Riege aufwarten konnte, darunter Uma Thurman, Christina Ricci und Kristin Scott-Thomas. Alle Augen in Berlin richteten sich jedoch auf Hauptdarsteller Robert Pattinson, seit seiner Vampir-Darstellung in der Twilight-Sage ein Star zumindest in den Herzen zahlloser Teenager, der sich hier mal von einer anderen Seite als Bösewicht zeigte. Doch letztlich bleibt er seinem Image des Frauenverführers treu. Mittellos kommt er als entlassener Soldat aus dem Algerienkrieg Ende des 19. Jahrhunderts nach Paris und versucht dort Fuß zu fassen. Durch die Begegnung mit dem Chefredakteur einer anerkannten Zeitung, der ihm einen Job und den Kontakt zur Damenwelt vermittelt, gelingt ihm auch ohne besonderes Talent ein beispielloser Aufstieg, bei dem er zahllose gebrochene Herzen hinterlässt und alle Skrupel fahren lässt. Eine solide, relativ werkgetreue Literaturverfilmung, die dem Festival allerdings auch nicht unbedingt einen Höhepunkt bescherte.

In einem eher durchwachsenen Wettbewerb, konnten immerhin die deutschen Beiträge Akzente setzen. Gleich drei alte Bekannte hatten es in den Wettbewerb geschafft und beschäftigten sich mit den Problemen einer jüngeren Generation. Hans Christian Schmid brachte sein Kammerspiel WAS BLEIBT mit, eine stille, aber durchaus beeindruckende Dekonstruktion der Fassade einer gut situierten bürgerlichen Familie, die sich am Wochenende im geschmackvoll eingerichteten Haus der Eltern trifft. Als die Mutter (Corinna Harfouch) am Mittagstisch verkündet, sie habe die Tabletten gegen ihre seit 30 Jahren bestehende Depressionserkrankung abgesetzt und fühle sich geheilt, herrscht eher Entsetzen statt Freude. Diente doch die Krankheit allen Familienmitgliedern als Entschuldigung für ihr eigenes Scheitern. Nun ist dieser Grund entfallen und alle Beteiligten müssen sich den eigenen Lebenslügen stellen. Schmids Plädoyer für mehr Ehrlichkeit untereinander schöpft aus eigenen Erfahrungen und ist seiner Meinung nach bezeichnend für eine ganze Generation.

Mit dem Problem der Schuld setzt sich Mathias Glasner in seinem Film GNADE auseinander. Dabei verlegt er das ursprünglich in Kopenhagen spielende Script ins norwegische Hammerfest, wo sich zwischen November und Januar die Sonne nicht sehen lässt. Den Deutschen Niels (Jürgen Vogel) hat es dorthin mit Frau und Sohn verschlagen, er arbeitet als Ingenieur, seine Frau Maria ist Krankenschwester in einem Hospiz. Ihre Welt wird auf den Kopf gestellt, als Maria auf dem Heimweg unbeabsichtigt ein Kind überfährt und im Schock Fahrerflucht begeht. Gemeinsam mit ihrem Mann entscheidet sie, sich nicht der Polizei zu stellen. Doch die Schuldgefühle lassen sie nicht los.

Glasner beeindruckt vor allem mit seinen atemberaubenden Landschaftsaufnahmen, deren lebensfeindliche Kargheit den Gemütszustand seiner Protagonisten spiegelt und in Verbindung mit samischen Gesängen eines Chores eine spirituelle Dimension erreichen.

Christian Petzold

Während diese beiden deutschen Beiträge bärenlos blieben, konnte der noch bis kurz vor der Preisverleihung hoch gehandelte BARBARA von Christian Petzold die Auszeichnung für die beste Regieleistung mit nach Hause nehmen. Im Gegensatz zu Schmids WAS BLEIBT ist er ein Ost-Film, der in die Zeit der frühen 80-er Jahre in der DDR eintaucht, für uns war dies der stärkste deutsche Wettbewerbsbeitrag. Im Mittelpunkt steht die Ärztin Barbara, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und deswegen aus der Hauptstadt in ein kleines Provinzkrankenhaus strafversetzt wurde. Jörg, ihr Geliebter aus dem Westen, bereitet ihre Flucht über die Ostsee vor. Doch da ist auch noch André, der Chefarzt im Provinzkrankenhaus, undurchsichtig, offensichtlich von der Stasi darauf angesetzt, Bericht über sie zu erstatten. Irritiert stellt die zunächst völlig unterkühlte und spröde Barbara allerdings einen seltsamen Widerspruch fest, denn André ist keiner von den harten Schärgen der Obrigkeit, sondern ein Mann voller Wärme und Sinnlichkeit. Sein Vertrauen in ihre beruflichen Fähigkeiten, seine Fürsorge, sein Lächeln verwirrt sie. Ist er auf sie angesetzt? Ist er verliebt? Barbara beginnt die Kontrolle zu verlieren. In kräftigen Farben und haptischen Bildern inszeniert Petzold kein bloßes Re-Enactment einer vergangenen Epoche, sondern lässt seine Geschichte atmen. Die Verortung steht im Hintergrund, es geht um die Relationen der Figuren zueinander und die Frage, wie man eine Zukunft planen und Träume haben kann in einem System, das bereits völlig erstarrt ist.

Juliette Binoche

Kein deutscher Beitrag, aber unter deutscher Beteiligung entstanden, ist DAS BESSERE LEBEN mit Juliette Binoche. Diese spielt eine Pariser Journalistin, die an einer Reportage über Studentinnen arbeitet, die sich zwecks Finanzierung ihres Studiums prostituieren. Die beiden Studentinnen, die ihr hierfür sehr selbstbewusst Rede und Antwort stehen, behaupten, nicht nur des Geldes wegen diesen Job auszuüben, sondern auch weil sie Spaß daran haben. Sie sehen dies als Tausch von Sex gegen Geld an, bei dem eher die Männer die Ausgebeuteten sind. Je länger Anne über diese Fragen nachdenkt, desto tiefer dringt sie ins Wechselspiel, von Geld, Sex und Liebe, Freiheit und Zwang ein, wobei sie auch eigene Fesseln und Sehnsüchte entdeckt.

Meryl Streep

Einen starken Auftritt in Berlin hatte Meryl Streep, die nicht nur einen Ehren-Bär erhielt, sondern auch ihren neuen Film DIE EISERNE LADY, ein Biopic über Margaret Thatcher vorstellte. Regisseurin Phyllida Lloyd geht es darin nicht darum, deren Politik zu analysieren und zu bewerten, sondern stellt ihren Aufstieg in einem rein männlichen Establishment in den Vordergrund und ihr Ende als an Alzheimer erkrankte Seniorin. Die Regisseurin nähert sich der Staatsfrau mit gebührendem Respekt und verwendet den Trick, aus der Perspektive der Kranken zu erzählen. So lässt Thatcher für den Zuschauer ihr Leben noch einmal Revue passieren. Mit ihrer Vita ziehen noch einmal viele historische Details an einem vorbei wie der britische Bergarbeiterstreik, der Falklandkrieg oder das Ende des Kalten Krieges. Das unrühmliche Ende nach einer Dekade Regierungszeit ist irgendwie absehbar und so wird aus der „eisernen Lady“ eine einsame Lady. Das mag man bemitleidenswert finden oder logische Konsequenz eines kompromisslosen Lebens, durch Meryl Streeps herausragende Performance ist es aber auf jeden Fall emotional bewegend.

Einen frühen Höhepunkt setzte der Auftritt von Angelina Jolie, die in ihrer erste Regiearbeit IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY eine Liebesgeschichte zwischen einem Serben und einer Muslima zu Zeiten des Bosnien-Krieges erzählt. Dabei schreckt sie nicht davor zurück, Greueltaten wie Massenvergewaltigungen und Erschießungskommandos in eindringlichen Bildern zu zeigen und trifft dabei ziemlich undifferenziert eindeutige Schuldzuweisungen, die zwar der westlichen Position zum Balkankrieg entsprechen, die Schuldigen aber nur auf einer Seite suchen, was angesichts der emotionalen Dichte des Films schon fast in Richtung Propaganda geht.

Überzeugender war da schon Stephen Daldrys EXTREM LAUT UND UNGLAUBLICH NAH, die Verfilmung des Bestsellers von Jonathan Safran Foers gleichnamigem Roman über einen New Yorker Jungen, der seinen Vater beim Zusammenbruch der Twin Tower am 11. September verloren hat und bisher vergeblich versucht, dessen Tod zu überwinden. Als er im Schrank seines Vaters einen geheimnisvollen Brief mit Schlüssel findet, macht er sich auf Spurensuche nach dessen Schloss in der Hoffnung, so den traumatischen Ereignissen einen Sinn zuordnen zu können. Am Ende findet er zwar nicht das, was er gesucht hat, ihm eröffnen sich aber durch den Kontakt mit den vielen Menschen, die ihm geholfen haben, neue Perspektiven.

Der berührendste und eigentlich auch beste Film des Festivals war Ursula Meiers L’ENFANT D’EN HAUT (SISTER), der leider nur eine lobenden Erwähnung erhielt, für den die Jury aber immerhin einen eigenen (nicht vorgesehenen) Sonderbären aus Silber vergab. Der Schweizer Regisseurin gelingt ein vortreffliches Sozialdrama mit Witz und Herz um den zwölfjährigen Simon, der in einem Skigebiet reiche Touristen bestiehlt, um sich und seine vermeintliche Schwester durchzubringen. Letztere hat zwar ständig wechselnde Männerbekanntschaften, trägt aber viel weniger zum Lebenserhalt der beiden bei. Der Zuschauer wird, obwohl hier viele Tränen fließen, nicht ganz ohne Hoffnung nach Hause geschickt. Ganz in der Tradition von Filmen der Dardenne-Brüder zeigt Meier schonungslosen Realismus gepaart mit großer Menschlichkeit. Das gefühlvoll, authentische und eindringliche Spiel der beiden Protagonisten machen Themen erfahrbar wie die Zweiklassengesellschaft, eine im Prekären verlorene Kindheit und die Monetarisierung der Gefühle, die zusammen ein Abbild unserer Gesellschaft ergeben. Das wäre auch ein würdiger Goldenen Bär gewesen, doch die Tatsache, dass die Verleiher noch um diesen Film bieten, garantiert uns, dass wir ihn bald auch in unseren Kinos zeigen können.

Texte & Fotos: Kalle Somnitz, Anne Wotschke & Silvia Bahl

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