Carlos, Klaus Barbie, Slobodan Milosevic, Saddam Hussein - nein, das ist keine wahllose Liste von Diktatoren und Terroristen. Es ist die Liste der Klienten des Anwalts Jacques Vergès, den Barbet Schroeder („Barfly“) in seinem neuesten Dokumentarfilm „L’Avocat de la terreur“ portraitiert. Die anfänglich politische Motivation für die Verteidigung antikolonialer Freiheitskämpfer scheint bei der Wahl der Klienten zunehmend sportlichem Ehrgeiz und der Freude an der Provokation zu weichen, vielleicht steht dahinter aber auch ein kristallklares Rechtsverständnis: Jeder hat ein Recht auf Verteidigung, auch der Teufel.
Seit zwölf Jahren zeigt das Kölner Dokumentarfilmfestival „Stranger than Fiction“ solch überraschende Filme und macht auch in diesem Jahr seinem Namen alle Ehre. Der größte Teil des Programms müsste sich als Spielfilm den Vorwurf der Übertreibung gefallen lassen. Auch die Geschichte von „Strange Culture“ klingt überzeichnet. Der Mix aus Dokumentarfilm und Spielszenen von Lynn Hershman- Leeson („Conceiving Ada“, „Teknolust“) erzählt vom Schicksal des Professors und Künstlers Steve Kurtz, der Aufgrund des Patriot-Act wegen seiner Kunst zum Thema Biogenetik des Bioterrorismus angeklagt wurde. Ihm drohen 20 Jahre Haft im immer noch ausstehenden Verfahren. Hershman-Leeson verbindet in ihrem Film Archivmaterial, Interviews mit Kurtz und anderen Beteiligten und Spielszenen.
‚Etwas dick aufgetragen’ - so müsste auch der Vorwurf an „The Mosquito Problem“ lauten. Aber auch dieses Portrait der bulgarischen Kleinstadt Belene ist ein Dokumentarfilm. Es scheint, als hätten den idyllisch an der Donau gelegenen Ort mit 10.000 Einwohnern die biblischen Plagen heimgesucht: Überschwemmungen und eine Mückenplage sind allgegenwärtig. Apokalyptisch mutet es an, wenn Autos Mückenmittel in der Stadt versprühen und Kinder johlend hinter den Dunstwolken herlaufen. Aber man ist in Belene guter Dinge, schließlich wird hier gerade ein Atomkraftwerk gebaut, und das könnte die hohe Arbeitslosigkeit im Ort beseitigen. Seit Jahren wartet man jedoch vergeblich auf die Fertigstellung. Der Natoübungsplatz um die Ecke bietet jetzt schon Arbeitsplätze. Hier werden Einwohner aus der Umgebung für Einsätze im Kosovo oder den Irak ausgebildet. Manche werden Taucher, denn „unter Wasser gibt es keine Mücken“. Ein Gefängnis mit 500 Insassen gibt es hier auch, daneben stehen die Reste eines ehemaligen kommunistischen Konzentrationslagers. Die Touristen auf den Donauschiffen bekommen von all dem nichts mit. In beeindruckenden Bildern erzählt Andrey Paounov mit tragikomischem Unterton von der Stadt, den Bewohnern und ihren Geschichten.
Geschichten, die man einem Spielfilm ebenso wenig abnehmen würde wie ein Freundschaftsspiel der iranischen Frauenfußballnationalmannschaft - wer hätte schon gewusst, dass es die überhaupt gibt - gegen einen Kreuzberger Amateurverein. In „Football Under Cover“ kann man nicht nur dieses Spiel sehen. Der Film, der am 24. April auch regulär im Kino startet (s. S.35), ermöglicht das Spiel erst: Ohne die Bemühungen der Filmemacher hätte es nie stattgefunden. Der Film erschafft sein eigenes Thema. Damit lädt er wie viele andere der gezeigten Dokumentationen dazu ein, über das Wesen des Dokumentarfilms zu reflektieren: seine Abbildungsfunktion, seinen immer perspektivischen Blick und - wie hier - seinen Eingriff in die Wirklichkeit. Neben den eigentlichen Themen ist dieses Verhältnis zur Wirklichkeit immer ein spannendes Moment.
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