Der Ton macht die Musik. Dass die Art des Vermittelns nützlich für die Sache sein kann, war zwar nicht exakt die intendierte Botschaft der Episode: „Vielleicht ging es weniger darum, was er sagt, als wie er es sagt“, kommentierte Anna von Rath eine Szene, in der trotz gleich kompetenter Frau ein wirksam redender Mann dominiert. Doch der Satz mag auch als Rezept für sensibles Reden taugen: Gern erklären, wenig insistieren – das wirkt. Bei ihrer Lesung in Velbert gab die Autorin ein Beispiel dafür.
„Macht Sprache“ heißt das von ihr und Co-Autorin Lucy Gasser, das die Wahlberlinerin schon in der Hauptstadt und gar Straßburg vorgestellt hat. Es will „ein Bewusstsein für die vielen Stolpersteine beim Sprechen“ schaffen und macht konkrete Vorschläge.
Kultursensibel, geschlechtergerecht: Streitfelder wie diese sind umkämpft. In diesem aufgeladenen Klima („Sprachdiktatur!“) verdient Rath wohl schon aufgrund ihrer Expertise besondere Aufmerksamkeit. Die Übersetzerin ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und hat Gender Studies unter anderem in Südafrika und Indien betrieben. Die von ihr mitgegründete Diskussionsplattform poco.lit widmet sich postkolonialen Projekten, eines davon heißt wie das Buch „Macht Sprache“ und dient dem Austausch zu sensiblem Übersetzen.
Nützliche Modewörter
Zum Ort brachte Rath einen persönlichen Bezug mit, sie ist nämlich in Velbert geboren. In ihrer Vita umschreibt sie es als „eine kleine Industriestadt in Westdeutschland“. „Hier in der Bibliothek war ich früher als Kind, da sah sie aber ganz anders aus“, sagte sie nun, erfreut über die heutige Optik in Velberts moderner Stadtbibliothek mit viel Glas, der kleine Raum der Lesung zweigt elegant und ohne Tür vom Leihbereich ab. – Bloß dass man sich für Security am Eingang entschieden hatte, mochte den offenen Eindruck etwas trüben.
Klar, dass Rath genderte, leicht erratbar auch, dass sie bekannte Sprachregeln teilt. Wichtig schien aber: Zur „Macht“ von Sprache zählt die Autorin neben verletzendem Potenzial auch konstruktive Kraft. Das galt schon für das in der Eingangsszene geschilderte Phänomen des „Mansplaining“, bei dem Männer meinen, Frauen über Sachverhalte aufklären zu müssen, über die die Frau jeweils mindestens so gut im Bilde ist wie der Mann. Die Szene illustrierte nicht nur den Vorgang, sondern machte (auch für Skeptiker modischer Wörter) das Benennen selbst plausibel. „Wenn wir einen Begriff für dieses Phänomen haben, können wir uns darüber unterhalten.“
Zugewandt und pragmatisch kam ihr Tonfall daher und unterschied sich so von der schroffen Vehemenz mancherorts. So auch in der Formulierung des Ziels allgemein, „ein produktiveres Gespräch über Sprache führen zu könne“. Der Komparativ hob ab auf eine weitere Einstiegsszene von Buch und Lesung: Ein Plausch zum überarbeiteten Kinderroman „Jim Knopf“ wurde da flugs und eben wenig produktiv zum Zwist über „Sprachpolizei“.
Gefahr und Nutzen von Metaphern
Kritik an verletzender Sprache Art fehlte nicht. Um fatales Reden im Alltag ging es am Beispiel Migration, und gut literaturwissenschaftlich fasste Rath den hier wirksamen Prozess als „Metapher“. „Flüchtlingswelle“, „strömen“, „Flut“: „Hier sind Wassermetaphern fast schon Standard geworden.“ Tückisch daran ist ihr zufolge, dass Menschen so nur als Masse erschienen: „Solche Wörter unterschlagen die Individualität der Einzelnen.“ Metaphern könnten aber auch neu und sinnvoll entwickelt werden. Dass freilich „Intersektionalität“ (für Überschneidung und Gleichzeitigkeit von Diskriminierungen) solch eine Metapher ist, schien dem Verfasser dieses Textes nicht evident, aber Rath erklärte es auf Nachfrage: Englisch „intersection“ heißt „Straßenkreuzung“; der Vergleichspunkt ist wohl: Die Angriffe kommen (wie Autos) aus verschiedenen Richtungen.
Bei aller Gesprächsbereitschaft, die Rath auch in der Diskussion bewies, ihr Urteil zum Stellenwert nicht-sensiblen Redens ist scharf. Menschen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordneten, werde „die Existenz abgesprochen“, sagte sie, wenn sie als Ansprache nichts geboten bekämen als „männlich“ und „weiblich“.
Gendern promoten?
Rath arbeitet, sagt die Seite des Verlags Ullstein, auch als „Diversity Trainerin“. Freilich steht es dort ohne Anführungszeichen – und solch ein Detail mag zu Grundsätzlichem taugen: Wer beruflich viel mit Sprache zu tun hat (so auch der Autor dieser Zeilen), steht öfters vor der Frage, wie weit er oder sie modernes Reden mitmacht. Kann etwa ein sich selbst als „nicht-binär“ verstehender Mensch von Medien verlangen, dort mit „them“ benannt zu werden, auch wenn das Blatt dies generell nicht verwendet? Ist solch eine Forderung zwecks Etablierung des Wortes legitim? Oder darf sich Presse gegen Ratschläge verwahren, wie viel Progression sie promoten müsse? Speziell in Zeiten verschiedener Anwürfe gegen seine Zunft: Gerade den empfindsamen Schreiber mag es da jucken, auf journalistische Autonomie zu pochen.
In Velbert war ihr Ansatz jedenfalls kommunikativ, auch als nachher der Kolumnist eines Stadtblatts Einwände gegen das Gendern erhob. Schon im Vortrag hatte sie sich zum Abwägen bekannt: In kritischen Alltagssituationen beobachte sie, ob man dort bereit sei für eine Intervention von ihrer Seite – „oder auch nicht“. Kein Automatismus also. „Diktatur“ sieht anders aus.
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