Es ist ja eine der wirklich schönen Besonderheiten unserer Patchworkregion, dass die Menschen an Ruhr und Rhein sehr mobil sind, wenn es darum geht, ihre Lieblingsmusiker zu sehen. Jedes Wochenende ist der RE1 die Bahnlinie, die die Clubber aus dem Ruhrgebiet zusammenbringt. Und wenn die gerade hochgehandelte Amiband ihr einziges Deutschlandkonzert im mit amerikanischen Ex-Pats gut gefüllten Berlin spielt? Macht nix, fahren wir halt nach Amsterdam. Von daher möge man mir verzeihen, wenn eine Empfehlung diesen Monat die Leserschaft nach Aalst, kurz hinter Brüssel führt. Dort residiert seit einigen Jahren das Kraak-Festival, nachdem es leider den Stammsitz im näher gelegenen Hasselt verlassen musste.
Kraak ist nicht nur der flämische Ausdruck für „besetztes Haus“, sondern auch der Name einer Bookingagentur mit angeschlossenem Plattenlabel. Jedes Jahr am ersten Märzwochenende laden diese vorzüglichen Menschen Bands und Musiker ein, die zum ersten Mal oder nur sehr selten in der Nähe von Nordrhein-Westfalen zu sehen sind. Dieses Jahr gibt der Berliner Rashad Becker sein Kraak-Debüt. Becker ist seit einigen Jahren Toningenieur beim legendären Dubplates & Mastering-Studio, wo u.a. die Releases von Basic Channel und Rhythm & Sound gemastert wurden. Mit seinem Soloalbum „Traditional Sounds of Notional Species Vol I“ (PAN) legt er seine Variation klassisch-experimenteller Elektronikmusik vor: abstrakt und detailliert ausgearbeitet zugleich und mit dem unwiderstehlich krispen Mastering, das sämtliche D&M-Releases ausmacht. Becker ist damit prototypisch für die Grenzbereiche zwischen Pop und experimenteller Musik, die seit über einem Jahrzehnt auf dem Kraak-Festival ein Zuhause finden. Für Nicht-Karnevalisten auf jeden Fall eine tolle Alternative, nicht zuletzt wegen des fantastischen belgischen Bierangebots.
Wer an Karneval nach lokalen Alternativen sucht, dem wird ein Besuch in der Kölner Lokalität King Georg empfohlen. Dort spielt die Berliner Hipster-Rapperin Dena ein Konzert mit reichlich Bling, hochgeschnürten Sneakers und entspannten Reimen. Generell sollten sich HipHop-Heads im Monat März auf eine erhöhte Benzinrechnung einstellen. Am 7.3. spielt Drake in der König-Pilsener-Arena in Oberhausen. Wobei die Kontraste zwischen Dena und Drake nicht größer sein könnten. Sie spielt mit den HipHop-Insignien alter Schule und droppt Reime zwischen Alltag und Club mit feingedrechelsten Pointen. Darunter liegen klar strukturierte Beats mit leichtem Baltimore-Club-Einschlag. Er, der ehemalige Schauspieler aus Kanada, hat dagegen die großen Gefühle für sich entdeckt. Wenn auch die latent machohaften Witze über Drakes ‚Emo-HipHop‘ und seine RomCom-Kompatibilität nicht abreißen, so markiert er dennoch eine Wende im zeitgenössischen HipHop. Drake ist der Rapper, der den Fokus weg von den Reimen hin zur Stimme als Instrument gelegt hat. Seine Texte handeln vom Versagen der Bling-Stimulanzien, die ihn auf seiner Erfolgsgeschichte begleiten, doch Drakes Melancholie markiert nicht die Rückkehr zu einem puritanischen Ich voll Verzicht und Sühne, sondern sie ist durch seine elektronisch manipulierte Stimme gebrochen. Und wie er diese Gratwanderung live umsetzt, das ist definitiv das Benzingeld für eine Fahrt ins westliche Ruhrgebiet wert.
Kraak Festival | 1.3. 14 Uhr | Netwerk, Aalst | www.kraak.net/festival2014
Dena | 1.3. 21 Uhr | King Georg, Köln | www.kinggeorg.de
Drake | 7.3. 20 Uhr | König-Pilsener-Arena, Oberhausen | www.drakeofficial.com
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