Laut Deutscher Orchestervereinigung wurden 2015/16 insgesamt 18,2 Millionen Zuhörer bei klassischen Konzerten gezählt gegenüber 13,2 Millionen Bundesligazuschauern. Lange beschleicht mich schon das untrügliche Gefühl, in einem Menschentrubel von Klassikkennern zu leben. Nicht der Ball bestimmt Abend- und Wochenend-Programm der Masse, sondern Abo-Veranstaltung und Festivalangebote. Oder hat da ein Dummer uns für doof verkauft und Pferdeäpfel mit Birnen verglichen?
Beim Kölner Gürzenich werden Menschen gezählt, und die Zahlen zaubern dem Generalmusikdirektor trotzdem ein Lächeln ins Gesicht. Francois-Xavier Roth (FXR) wirkte kurz nach der Wahl in Frankreich „entspannt“, so formulierte er sein Wohlgefühl bei der Vorausschau auf die kommende Spielzeit. Die Abonnenten- und Besucherzahlen erheben das Gürzenich-Orchester zu einem der beliebtesten Sinfonieorchester Deutschlands, das belegen die Daten. Der GMD vor seiner dritten Amtszeit als Herr über Oper und bürgerlichem Konzert hat mit seiner freundlichen Art und Begeisterung für jede nächste Sache viel zur guten Stimmung beigetragen – beinahe unheimlich angesichts einer desaströsen Entwicklung der Opernhaus-Restaurierung.
Zukünftiges: Der „Junge Ohren-Preis“, der Oscar der Musikvermittlung, ging an die Aktion „Ohren auf“ des Gürzenich-Orchesters. „GO Plus“, das kostenfreie Video-Angebot, sendet fünf Konzerte via Livestream. Der 34-jährige britische Dirigent Nicholas Collon wird auf spontanen Wunsch der Musiker offiziell Erster Gastdirigent des Orchester und agiert auch im renommierten Passionskonzert am Karfreitag: Statt der üblichen Bach-Passion leitet er ein eigens zusammengestelltes Pasticcio aus Werken von Bach, Haydn und James MacMillan.
Vergangenes: Die Köln-Connection des Felix Mendelssohn wird abgeklopft. Beim ehedem wichtigen Niederrheinischen Musikfest hat Felix, der immer jung war, weil er nicht alt wurde, das Kölner Orchester dirigiert. Seine Zweite Sinfonie „Lobgesang“ dient gleichermaßen der 500-Jahr-Feier der Reformation und vereint zahlreiche Kölner Chöre. Näher dran ist die Geburtsjahrsfeier zum 100. von Bernd Alois Zimmermann, dessen Oper „Die Soldaten“ in Köln getauft wurde. Werke aus seiner Feder und auch ein frisches Bratschenkonzert seines Meisterschülers York Höller werden die Konzertprogramme mit Lokalkolorit veredeln – er wurde in Bliesheim, heute Erftstadt, knapp vor den Toren Kölns geboren: ne echte Kölsche Jung.
Gegenwart: Bis zum Sommer 2018 entsteht ein Flötenkonzert von Philippe Manoury, dem von Roth ernannten „Komponisten für Köln“, das von Emanuel Pahud auf seiner Traversflöte in der Kölner Uraufführung vergoldet werden wird – das Instrument des Soloflötisten der Berliner Philharmoniker sieht nicht nur sehr teuer aus, es klingt auch sensationell.
Zahlreiche Debüts aufgehender Sterne stehen ins Haus, Lieblingsdirigenten wie Kitajenko oder Haenchen ziehen ein, Solisten wie Geiger Tetzlaff oder Bratschistin Zimmermann kehren zurück. Und immer wieder steht FXR am Pult; die Fans freuen sich.
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