Von Maine in die Großstadt: Ganze drei Monate soll Caspia mit ihren Eltern in New York verbringen – weit weg von ihren beiden besten Freundinnen und hinein in die Menschenmengen des „Big Apple“. Dass die Stadt mehr als nur Lärm und graue Wolkenkratzer bereithält, entdeckt sie auf einer abenteuerlichen Rätselsuche durch die versteckte Pflanzenwelt der Metropole. Gemeinsam mit der Kräuterkundlerin Tammi Hartung schreibt Cornelia Funke in ihrem neuesten Kinder- und Jugendroman „Das grüne Königreich“ (Oetinger Verlagsgruppe) von den Eigenschaften und Besonderheiten verschiedener Pflanzenarten sowie den sagenumwobenen Geschichten, die sich um sie ranken.
„So viele Menschen, so viele Fenster, so viele Geschichten“. Eigentlich ist die zwölfjährige Caspia überhaupt kein Stadtmensch und daher alles andere als begeistert darüber, die Sommermonate im belebten New York zu verbringen. Als sie jedoch in der Kommode ihres Airbnbs einen Stapel alter Briefe entdeckt, beginnt ein aufregendes Ratespiel, durch das sie die Stadt aus einem anderen Blickwinkel kennenlernt. Der botanische Garten von Brooklyn, der Gewürzladen um die Ecke und der Blumenladen, in dem die verschiedensten Bücher ausgestellt sind, werden zu ihren neuen Lieblingsorten. Dabei begegnet sie einigen New Yorker:innen, mit denen sie Freundschaft schließt – die Großstadt ist auf einmal gar nicht mehr so fremd und anonym. Hier werden zielgruppenrelevante Fragen zu Heimat und Zugehörigkeit aufgeworfen und von den Autorinnen feinfühlig behandelt. Funke und Harting lehren die Leser:innen, was wir unter dem Begriff „Zuhause“ verstehen können, und bilden indes eine gelungene Brücke zur heimischen und exotischen Pflanzenwelt. Ob Zimtbaum, Bambus, Holunder oder Jasmin – sie alle zeigen Caspia, dass man sich an mehreren Orten daheim fühlen kann. Auch die oftmals verlorengegangene Wertschätzung gegenüber der Natur wird in der Handlung thematisiert, ebenso wie die Gefährdung des Pflanzenreichs durch äußere Einflüsse – so werden aktuelle Themen in die Geschichte eingewoben und das Lesepublikum zum Nachdenken angeregt. Dabei kann auch selbst mitgeraten werden, denn in jedem der Rätselbriefe befinden sich fünf Hinweise, die mit oder ohne Hilfsmittel gelöst werden können.
Die letzten Seiten des Buches gestaltet Illustratorin Franziska Blinde mit filigranen Schwarz-Weiß-Zeichnungen der zehn Pflanzen aus den Briefen, gefolgt von einer Sammlung ausgefallener Rezepte von Caspias Mutter – darunter das „zimtige Waldpilzragout“ –, leicht erklärt zum Nachkochen und Probieren. Die Autorinnen führen ein in die Welt der Gewürze und Pflanzenvielfalt, schreiben einfühlsam von den Hürden des Neuankommens und dem Zauber des Wurzeln Schlagens, während sie erzählerisch die Verbindung zwischen Mensch und Umwelt unterstreichen – ein wunderbares Kinder- und Jugendbuch (ab 10 Jahren), das auch erwachsenen Leser:innen noch das ein oder andere beibringen kann.
Cornelia Funke & Tammi Hartung: Das grüne Königreich | Aus dem Englischen von Anna Schmitt Funke | Verlagsgruppe Oetinger | ab 10 Jahren | 192 S. | 18 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25
Der Wolf und die Migranten
Markus Thielemann im Ada – Literatur 02/25
Diktat oder Diktatur
Autorin Anna von Rath in Velbert – Literatur 02/25