Schon der Titel „Heimatstunde“ lässt Böses ahnen. Eigentlich ein schönes Wort, und weil es unübersetzbar ist, benutzen es etwa die Amerikaner im deutschen Original. Aber Heimat ist ja nicht nur kuschelig, sie verbindet sich gleich mit Vergangenheit und Geschichte, und dann ist es in Deutschland gar nicht mehr schön. Uwe Steimle – der „Zauberer von Ost“, wie er sich selbst nennt – macht die Nagelprobe, indem er Songs der Heimat anstimmt, und sofort kommt im Saal der Comedia in Köln das Echo aus den Zuschauerreihen. Nicht nur von der unbefleckten Natur sondern auch von der Einheitspartei und dem Kolonialismus wird gesungen, aber das scheint kaum jemandem im nostalgisch verklärten Gesumme aufzufallen.
Wir denken uns halt nichts dabei. Man muss nicht hinter allem was vermuten, ist ja furchtbar, diese Wortklauberei. Aber genau da hakt Uwe Steimle ein, er schaut den Politikern aufs Maul und wundert sich im Übrigen, wieso das „4. Kölner Festival des politischen Kabaretts“ – in dessen Rahmen er auftritt – die Bezeichnung „politisch“ braucht. „Gibt es auch unpolitisches Kabarett?“, fragt Steimle. Aber lustig sind nicht nur die Kabarettisten, die Repräsentanten der „GroKo“ (von Steimle als „Großes Kotzen“ übersetzt) sondern auch erstaunliche Bemerkungen ab, die offenbar alle überhören. Wenn Außenminister Steinmeier zum Beispiel beteuert, dass es von deutscher Seite „keine militärische Intervention in Russland geben wird“? Oder wenn der Vizekanzler Gabriel davon spricht, „dass der Aufschwung planmäßig vonstattengeht“? Dazu passen die Worte von Kanzlerin Merkel, die von der „unverbrüchlichen Freundschaft“ zu den USA spricht.
Uwe Steimle besitzt ein gutes Ohr und vor allem ein Erinnerungsvermögen für jene Zeiten, in denen man solche Formulierungen in der DDR täglich eingebleut bekam. War Angela Merkel nicht auch als Führungsmitglied der FDJ zuständig für den Propagandabereich? Uwe Steimle zeigt in seinem Programm, wie eng die Gegenwart an jene Vergangenheit gekoppelt ist, die in West und Ost nur zu gerne vergessen wird. Gerade für das Publikum im Westen ist es faszinierend, ihm zu folgen, weil er zeigt, dass die Realität der DDR in manchen Bereichen ganz anders funktionierte, als sie nach der „Kehre“ – wie er sagt – immer kolportiert wurde. Steimle bietet ein politisch scharfsinniges Programm, das Analyse mit Witz verbindet und manchmal fällt er sogar aus der Rolle des Kabarettisten heraus und wird privat. Das sind die Momente, in denen man spürt, wie viel ihm das kritische Denken bedeutet und dass es im Kabarett auch nach Dieter Hildebrandts Tod noch eine Zukunft besitzt.
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