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Retro oder Future, um glücklich zu werden?
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Der heimliche Sieg des Kapitalismus

30. April 2024

Wie wir vergessen haben, warum wir Karriere machen wollen – Glosse

„Wegen solchen Schlampen werden Frauen immer noch benachteiligt“, sagt Alina und neigt ihr Handy so, dass auch Paulina sehen kann, von welcher Schlampe die Rede ist. „Macht absichtlich auf traditionelle Hausfrau und ist auch noch stolz drauf. Postet ständig auf Instagram irgendwelche blöden Fotos davon, wie sie in Kleidern in der Küche steht, mit ihren Kindern bastelt oder im Garten Rosen schnippelt, die dumme anti-emanzipatorische Sau! Und damit ist sie nicht allein. Da steckt ne ganze Bewegung hinter. ‚Tradwives‘ nennen die sich, traditionelle Ehefrauen. Pah! Werfen einfach alles in den Dreck, wofür Frauen jahrzehntelang gekämpft haben. Schöne Tradition! Solange es so was noch gibt, werden wir anständigen, modernen Frauen nicht Karriere machen können!“

„Wenn du meinst, Alina“, sagt Paulina. „Dann rauch auf und lass uns wieder reingehen. Drinnen wartet noch eine Palette Raviolidosen darauf, ausgepackt und eingeräumt zu werden. Die kann dir sicher besser bei deinen Karriereträumen weiterhelfen als Instagram. Was machst du eigentlich am Wochenende?“

Alina nimmt einen letzten Zug und drückt die Kippe im stählernen Standaschenbecher aus. „Keine Pläne. Ich freue mich drauf, endlich mal wieder Zeit für meine Kinder zu haben. Vielleicht backe ich mit ihnen einen Kuchen …“

***

„Weißt du, ich hätte gerne mehr Zeit für meine Kinder“, sagt Jonas und nippt an seinem Bier. „Aber die Firma braucht mich. Und wenn ich mich beweise, dieses Jahr, vielleicht noch nächstes, dann krieg ich die Stelle als Bereichsleiter.“

Georg hebt eine Augenbraue. „Aber heißt das nicht, dass du noch mehr arbeiten must und deine Kinder dann noch seltener siehst?“

„Ja, wahrscheinlich schon. Aber ich tu es ja gerade für die Kinder. Die sollen es mal besser haben als ich.“

„Alter, hör mal auf, die ollen Kamellen deiner Eltern nachzulabern. Die hatten es schwer. Dein Vater malocht aufm Bau und deine Mutter, was macht die doch gleich?“

„Die war lange Hausfrau. Jetzt arbeitet sie wieder als Altenpflegerin.“

„Ja siehste? Und du hast deine Kindheit an deinem Gaming-PC verbracht, bist dann ein halbes Jahr zum Work and Travel, vor allem Travel, nach Australien und hast dann zwölf Semester BWL studiert. Du hast es nicht schwer. Was meinst du, was brauchen deine Kinder? Ihren Vater oder Gaming-PCs?“

Jonas sucht am Grund des Bierglases nach einer Antwort. „Sicherheit“, sagt er schließlich. „Die will ich ihnen geben.“

„Und deine Frau?“, hakt Georg nach. „Wird die sich um die Kinder kümmern, wenn du deine Beförderung hast?“

„Würde sie gern, aber sie will unbedingt weiterarbeiten im Supermarkt. Sonst fühlt sie sich von mir so abhängig.“

***

„Letztens hat ein Patient von mir einen schönen, traurigen Satz gesagt“, beginnt Rosa. „Er sagte: ‚Mein Vater hat mich kaputtgemacht, weil er nie für mich da war. Meine Mutter hat mich kaputtgemacht, weil sie immer für mich da war.‘“

„Das hat der doch von Facebook oder so“, entgegnet Melina. Ihre langen Fingernägel klackern auf dem Betatschscreen, auf dem sie nebenbei eine Nachricht schreibt. „Darum will ich auch keine Kinder haben. Ich will ja einen reichen Mann finden und nicht arbeiten. Zu Hause meine Ruhe haben, Zeit für mich, hin und wieder verreisen.“ Melina zeigt Rosa ein Whatsapp-Profil. „Den habe ich letztens auf Tinder kennengelernt. Ist echt ein Pimpf, keine einsfünfundsiebzig, aber hat ne IT-Firma. Und so eine wie mich findet der nicht nochmal. Der bezahlt alles für mich. Hat mir schon versprochen, mich mal nach New York mitzunehmen.“

„Und das macht dich glücklich? So abhängig zu sein von einem Kerl?“

„Geht schon klar. Ich muss dafür nicht arbeiten. Bist du nicht abhängig von der Klinik, in der du arbeitest? Und wie viel Freizeit hast du?“

Rosa antwortete nicht. Sie wollte schon immer mal nach New York.

Marek Firlej

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