Mit Investitionen schafft man Vertrauen. Eine Erkenntnis, die auch in der Welt der Künste ihre Gültigkeit besitzt. Über zwei Jahre hinweg bietet das Tanzhaus NRW drei Choreografen als sogenannten Factory Artists eine Heimat in Düsseldorf. „Wir haben sie aufgefordert, mit ihrer Arbeit ins Risiko zu gehen, sich zu trauen, einmal alles das auszuprobieren, was ihnen sonst Schwindel verursachen würde“, erklärt Bettina Masuch, die Intendantin des Tanzhauses. Jenseits des „Großkampfprinzips“ möchte sie mit dem Bekenntnis zu den Künstlerpersönlichkeiten der beiden Deutschen Sebastian Matthias, Alexandra Waierstall und dem Belgier Jan Martens zu anderen ästhetischen Ergebnissen kommen.
Erreicht hat sie schon einmal eine starke Identifikation der drei mit dem Tanzhaus und zugleich eröffnet der Blick von außen auch neue Perspektiven auf Düsseldorf. So wird der Berliner Choreograf Sebastian Matthias in einem „groove space“ die besondere urbane Stimmung aufnehmen. Eine Art Gefühlsporträt, das im Zusammenspiel mit Tänzern, einem Chor und dem Düsseldorfer Publikum entsteht. Mit Geisterstädten beschäftigt sich Alexandra Waierstall in ihrer Produktion „A City Seeking its Bodies“, die gemeinsam mit dem Pianisten Hauschka, der bildenden Künstlerin Marianna Christofides, einem Streichquartett und den Tänzern entsteht. Lokale Anbindung mit internationalem Horizont nennt Bettina Masuch ihren Zuschnitt für das Haus, der sich etwa in den Arbeiten realisiert, die der Jan Martens mit Tanzamateuren veranstaltet.
Zur Eröffnung am 29. August stellt Martens „The Common People“ vor. Dazu lädt er Düsseldorfer Bürger zu einer Serie von Blind Dates ein. Zwei Menschen mit unterschiedlichen Professionen zeigen in Duetten ihre Interpretation von Begriffen wie Annäherung oder Vertrauen. 24 Duette werden entstehen. Die Spannung zwischen Region und großer weiter Welt wird sich durch die gesamte Spielzeit ziehen. Mit einen Feuerwerk internationaler Produktionen sorgt man in Düsseldorf gleich für Schlagzeilen. Jérome Bel, einer der großen Choreografen Europas serviert die „Gala“ am 27. August. Auch er sucht in dieser Produktion das Zusammenspiel von Profis mit Amateuren, um uns alle in Formen eines „Besseren Scheiterns“ zu einzuüben.
Eine andere Konstante der Spielzeit ist die Begegnung mit dem vermeintlich Fremden. Alessandro Sciarroni zeigt in „Folk-s, will you still love me tomorrow?“, dass der Tiroler Schuhplattler ein Volkstanz ist, der viel mit dem Modernen Tanz gemein hat. Sciarroni versteht sich halt auf die ironische Variante der Tradition. Die Brasilianerin Lia Rodrigues bringt mit „Pindorama“ – dem Namen der eingeborenen für Brasilien – eine Choreografie mit elf nackten Tänzern auf die Bühne des Tanzhauses und erzählt von der Entstehung ihres Heimatlandes. Im Übrigen darf man sich auf interessante Namen wie Raimund Hoghe, Silke Z., Fabien Prioville, Lili M. Rampre, Sidi Larbi Cherkaoui, Christian Rizzo oder Laurent Chétouane freuen. Ein Füllhorn zeitgenössischen Tanzes wird sich in Düsseldorf ergießen.
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