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Wolfgang Becker (r.) mit Kameramann Jürgen Jürges
Foto: Presse

„Die Tonart variieren“

27. August 2015

Regisseur Wolfgang Becker über seine Verfilmung von „Ich und Kaminski“ – Gespräch zum Film 09/15

Mit „Ich und Kaminski“ (Start: 17.9.) adaptiert Wolfgang Becker Daniel Kehlmanns gleichnamigen Roman: Kunstjournalist Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) möchte ein Enthüllungsbuch über den fast vergessenen Maler Manuel Kaminski (Jesper Christensen) schreiben, der einst mit Matisse und Picasso verkehrte und mit der „Blinden Serie“ berühmt wurde. Mit einiger Dreistigkeit verschafft sich Zöllner Zugang zu Kaminskis Leben. Auf einer abenteuerlichen Reise will der Journalist dem Maler seine Geheimnisse entlocken. Allerdings muss er bald feststellen, dass der Alte ihm in Sachen Manipulation in nichts nachsteht.

engels: Ihr letzter Spielfilm „Good Bye, Lenin!“ liegt zwölf Jahre zurück. Was hat Sie an Daniel Kehlmanns „Ich und Kaminski“ so gereizt, dass Sie ihn verfilmen wollten?
Wolfgang Becker: Die Zeit zwischen den beiden Filmen war eigentlich nie langweilig. Der weltweite Erfolg von „Good Bye, Lenin!“ hat mich über ein Jahr wie eine Flipperkugel durch die Welt geschossen. Es gab für mich, da ich gerade ohne Projekt war, bei „X Filme“ viel zu tun, denn durch die Insolvenz unseres damaligen Partners entstanden ziemliche Turbulenzen. Es gab intern eine Menge zu regeln, um die Firma vor dem Zugriff von „Heuschrecken“ zu bewahren. Parallel dazu habe ich zusammen mit Dani Levy ein Drehbuch entwickelt, das mein nächstes Filmprojekt wird. Daniel Kehlmann hatte ich bereits 2003 beim ORF in Wien kennengelernt, als ich „Good Bye, Lenin!“ und er seinen Roman „Ich und Kaminski“ präsentierte. Er gab mir damals ein Exemplar, das ich jedoch auf meiner Welttournee verloren habe. Der Roman kam erst viel später zu mir zurück, als die Filmrechte wieder frei wurden. Bei der intensiven Beschäftigung mit dem Roman habe ich mich dann in den Stoff verliebt.

Sie haben den Film in Kapitel eingeteilt. Ist dies dem Roman geschuldet?
Streng genommen ist „Ich und Kaminski“ gar kein Roman, sondern eine etwas zu lang geratene Novelle, denn es fehlt ein dritter Akt. Die meisten Filme bauen auf einer Dreiaktigkeit auf. Bei der Adaption stellte ich jedoch fest, dass diese Konstruktion für dieses Projekt völlig untauglich ist. Daher entschied ich mich, den Film in Kapiteln zu erzählen, was aber nichts mit Buchkapiteln zu tun hat. Im Film sind es acht Kapitel, die acht Bögen der Geschichte bilden. Sie erlauben auch, zwischen ihnen die Tonart zu variieren. Jedes Kapitel besitzt eine Überschrift, ein Thema, was mit der Vielschichtigkeit der Thematik zu tun hat. Analog zum Roman ist der Film nicht monothematisch wie viele Mainstream-Filme, die oft um einen einzigen Konflikt kreisen. Der Film unterscheidet sich in vieler Beziehung von dem üblichen Schema der Konfliktstellung, Durchführung und Lösung. Es gibt am Ende nicht mal eine Katharsis.

Spielte Daniel Brühl in „Good Bye, Lenin!“ den Liebling der Nation, so verkörpert er in „Ich und Kaminski“ eher einen Lump. Oder ist dieses Urteil zu hart?
Durchaus nicht. Daniel Brühl und mir war es klar, dass wir die Rolle des netten Sohns in „Good Bye, Lenin!“ nicht weiterführen wollten. Daniel hatte auch das Bedürfnis, das Fach zu wechseln und da kam ihm dieser „Kotzbrocken“-Typ gerade recht. Sebastian Zöllner ist ein skrupelloser, eitler, sich selbst überschätzender Journalist. Noch bevor wir Kaminski im Film überhaupt kennenlernen, tut uns der alte Mann schon leid. Im Laufe des Films entpuppt er sich allerdings als ebenbürtiger Partner. Die anfängliche Angst, Zöllner könnte ihn für seine Zwecke nach Belieben instrumentalisieren, verflüchtigt sich dann nach und nach. Für mich war es besonders reizvoll, von zwei Menschen zu erzählen, die am Anfang so unterschiedlich wie nur möglich wirken, am Ende sich aber doch viel ähnlicher sind, als man und sie selbst je gedacht hätten.

Handelt es sich dabei um eine Art Katz-und-Maus-Spiel?
Vom Verlauf der Geschichte her ist das eine wichtige Klammer, die sie zusammenhält. Vielleicht ist „Spiel“ nicht das richtige Wort. Es entspinnt sich ein subtiler Kampf zwischen den beiden, wer wen im Griff hat, wer wen manipuliert. Dies erzeugt Spannung und Komik zugleich.

Sie sprachen vorhin von „skrupellosen“ Journalisten, was bereits im Roman angelegt ist. Enthält der Film auch eine Art Journalistenschelte?
Wenn ich „skrupelloser Journalist“ sage, meine ich damit nicht alle Journalisten. Aber wir beide wissen, dass es Journalisten gibt, die wenig Skrupel haben. Skrupellosigkeit gab und gibt es jedoch überall, in allen Bereichen. Das Problem liegt für mich eher darin, wie sehr sie als unvermeidlich akzeptiert wird, in einigen Bereichen fast salonfähig geworden ist. Für eine Journalistenschelte würde ich im Film die Satire im Sinne Billy Wilders wählen.

Für „Das Leben ist eine Baustelle“ und „Good Bye, Lenin!“ arbeiteten Sie ausschließlich mit deutschen Schauspielern. War mit dem sehr internationalen Cast bei „Ich und Kaminski“ die Arbeit oder die Kommunikation auf dem Set anders?
Das internationale Cast ergab sich aus dem Projekt: Kaminski ist in Polen geboren und in Frankreich aufgewachsen, hat dann bis zum Tod in der Schweiz gelebt. In seinem Leben werden verschiedene Sprachen gesprochen. Ich wollte die Schauspieler jedoch nicht Deutsch mit französischen Akzent sprechen lassen. Sie sollten ihre eigene Sprache sprechen oder für ihre Rollen auch Deutsch lernen, wie Amira Casar, Geraldine Chaplin oder Denis Lavant, die schon wissen sollten, was sie da genau sagen. Die Kommunikation war unkompliziert. Ich spreche Englisch und etwas Französisch. Amira Casar spricht perfekt Englisch. Mit Jesper Christensen kann man wunderbar Deutsch sprechen, weil er es fließend spricht. Und Daniel Brühl spricht Deutsch, Spanisch, Englisch und Französisch fließend.

Was ist im Film in Bezug auf Kaminskis Biographie Wahrheit, was ist Dichtung?
Ein Leben ist ja nie vollständig aufgeschrieben, daher ist eine Biografie immer lückenhaft. Das Problem stellt sich bei jedem Bio-Pic. Es gibt Eckpunkte, die bekannt und verbürgt sind. Und es gibt Legenden, die durch ständiges Wiederholen zum Fakt geworden sind. Aber der Film interessiert sich oft mehr für die weißen Flecken einer Biografie, die er dann auffüllen muss. Die „Dichtung“ muss der dargestellten Person jedoch mit einer gewissen „Werktreue“ gerecht werden.

Interview: José García

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