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Bettina Oberli am Set von „Wanda, mein Wunder“
Foto: Presse

„In der Geschichte geht es um Machtverhältnisse“

22. Dezember 2021

Bettina Oberli über „Wanda, mein Wunder“ – Gespräch zum Film 01/22

Bettina Oberli kam 1972 in Interlaken, im Berner Oberland in der Schweiz, auf die Welt. Ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich schloss sie als Regisseurin ab. Nach diversen Kurzfilmen feierte bereits ihr Langfilmdebüt „Im Nordwind“ seine Weltpremiere auf dem Filmfestival von San Sebastián. Ihr Film „Die Herbstzeitlosen“ wurde 2006 zu einem der erfolgreichsten Schweizer Filme aller Zeiten. Ihr neuer Film „Wanda, mein Wunder“ läuft am 6. Januar in den Kinos an.

engels: Frau Oberli, der Pflegekräftemangel ist seit Jahren ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema – genau wie das Zurückgreifen auf vor allem polnische Pflegekräfte. Haben Sie einen persönlichen Bezug dazu, oder warum haben Sie dieses Sujet für Ihren Film gewählt?

Bettina Oberli: Persönlich nicht in dem Sinne, dass das Thema meine Familie betroffen hätte, aber ich habe natürlich gemerkt, dass es in der Luft liegt und dass dazu auch in den Medien immer mehr geschrieben wurde. Dann habe ich zu recherchieren begonnen und schnell herausgefunden, dass das von immer mehr Menschen in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich, in Anspruch genommen wird. In dem Zusammenhang wird immer wieder behauptet, dass mit diesem Modell alle am Ende gewinnen. Hier findet tatsächlich eine Care-Migration vom Osten in den Westen statt. Ich habe mich dann immer mehr für das Thema interessiert, und wollte auch herausfinden, worin diese Win-Win-Situation hier tatsächlich besteht.

Ich könnte mir vorstellen, dass es die so gar nicht gibt, weil Pflegerinnen ihre eigenen Familien in der Heimat ja im Stich lassen, um sich im Ausland um andere zu kümmern.

Ja, das stimmt. Natürlich verdienen sie dann im Ausland viel mehr als in ihrer Heimat, also zumindest bei uns in der Schweiz ist das noch so. Aus Deutschland habe ich wirklich horrende Geschichten gehört, denn dort bekommen sie oftmals gar nicht mehr wirklich so viel mehr, als sie in Polen bekommen würden. Ich denke, in der Schweiz ist das ein bisschen geregelter, aber auch gesetzlich noch überhaupt nicht verpflichtend. Es gibt da auch einen großen Graubereich, der von Agenturen und privaten Kontakten abgedeckt wird. Ich habe bei meinen Recherchen mit vielen Pflegerinnen gesprochen, und keine von ihnen hat mir bestätigt, dass das eine Win-Win-Situation wäre, weil sie dabei alle auf ihr eigenes Leben verzichten.

In Ihrem Film gibt es in der Schweizer Familie, deren Oberhaupt Wanda pflegt, wirklich niemanden, der sie nicht ausnutzt. Ist das überspitzt oder doch auch ein wenig der Realität abgeschaut?

In der Geschichte geht es natürlich auch um Oben und Unten und um Machtverhältnisse. Es ist schon klar, wer hier bei wem in welcher Abhängigkeit steht. Deswegen wird die ökonomisch schlechte Ausgangssituation der Frauen natürlich ausgenutzt, und es wird sehr davon profitiert. Für mich war es spannend, an diesen klaren Vorgaben der Geschichte herumzuspielen und die Verhältnisse dabei umzukehren. Deswegen kommt Wanda hier in eine Situation, in der sie nicht nur das Opfer ist, sondern auch eine Macht besitzt, durch die sie die anderen dann auch als wirklichen Mensch aus Fleisch und Blut wahrnehmen und danach handeln müssen.

Ihre anderen Werke sind meist sehr humorvoll, hier kommt der Witz eher im Hintergrund vor. Woran liegt das, war Ihnen das Thema zu wichtig?

Wenn ich mich dazu entschieden hätte, ein ganz klares Sozialdrama zu drehen, hätte ich mich wahrscheinlich eher für die Form des Dokumentarfilms entschieden. Aber ich wollte nicht in einer einzelnen Position verharren, sondern hatte auch Lust, die Geschichte aus der Perspektive der Schweizer Familie heraus zu erzählen. Da konnte ich mir dann mehr erlauben, sie in Situationen bringen, in denen sie zu strampeln beginnen. Ich wollte mich dabei nicht über sie lustig machen, sie aber über Grenzen treiben, wo man dann nur noch mit Lachen darauf reagieren kann. Ich finde schon, dass es ein lustiger Film ist, aber er behandelt ein ernstes Thema. Deswegen ging es schon beim Schreiben darum, wie man die richtige Mischung findet, den richtigen Ton zwischen Humor und Drama.

Agnieszka Grochowska ist eine sehr bekannte polnische Schauspielerin, war sie denn Ihre erste Wahl für die Rolle der Wanda?

Bei allen deutschsprachigen Schauspielern wusste ich schon sehr früh, wen ich dafür möchte, und so konnten wir auch schon früh alle anfragen, was dann auch geklappt hat. Aber ich kannte eigentlich kaum polnische Schauspielerinnen, deswegen bin ich nach Warschau gereist und habe dort dann klassisch Castings gemacht. Als ich sie dann traf, war mir sehr schnell klar, dass sie eine gute Mischung hat aus dieser Wärme und einer sehr sympathischen Erscheinung einerseits, aber andererseits auch etwas sehr Starkes und Stolzes.

Sie pendeln beim Inszenieren immer wieder zwischen Komödie, Thriller, Drama und auch Dokumentarfilm. Was gefällt Ihnen hier am besten, oder ist es gerade die Abwechslung, die sie reizt?

Als nächstes drehe ich einen futuristischen Western (lacht). Ja, ich glaube, ich mag es, mit Formen zu spielen und auch Dinge auszuprobieren. Ich inszeniere ja auch am Theater und an der Oper. Ich habe allgemein ein großes Interesse am Kreieren. Ich genieße es auch, dass ich mich dabei nicht festlegen und Dinge nicht immer wiederholen muss. Gleichzeitig ist es aber so, dass sich inhaltlich ganz klar ein roter Faden durch meine Arbeiten zieht, denn es geht bei mir immer um die Familie, wie sie auf den Kopf gestellt wird und durch Krisen geht. Je nach der Geschichte erzähle ich das dann mit den Mitteln der Komödie oder des Dramas.

Frank Brenner

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