Seit mehr als 20 Jahren ist die 1974 in Heidelberg geborene Maggie Peren in der Filmbranche tätig, zunächst als Drehbuchautorin („Vergiss Amerika“, „Mädchen Mädchen!“) und Schauspielerin („Ganz und gar“), seit ihrem Langfilmdebüt 2007 mit „Stellungswechsel“ aber auch immer wieder als Regisseurin. Nach „Die Farbe des Ozeans“ und „Hello again – Ein Tag für immer“ hat sie nun mit „Der Passfälscher“ das autobiografische Buch von Cioma Schönhaus verfilmt, das 2004 im Scherz-Verlag erschienen war. Ab dem 13. Oktober ist der Film im Kino zu sehen.
engels: Frau Peren, wann sind Sie denn zum ersten Mal in Kontakt mit Cioma Schönhaus‘ spannender Lebensgeschichte gekommen?
Maggie Peren: Das war schon sehr früh, im Jahr 2007, ist also schon 15 Jahre her. Im Jahr 2003 hatte ich das Drehbuch zu „Napola – Elite für den Führer“ geschrieben, deswegen hatte ich nicht direkt wieder Lust auf eine weitere NS-Geschichte. Aber Ciomas Buch hat mich sehr berührt, weil es so klischeefrei ist. „Napola“ und die Nazi-Eliteschule sind ja nun mal, wie der Name sagt, voller Nazis. Ciomas Stoff war dazu das genaue Gegenteil, denn er schildert einen Alltag, der ganz weit weg ist von dem, mit dem man sich beschäftigt, wenn man einen Film über die 1940er Jahre dreht. Die New York Times schrieb eine große Lobeshymne über Ciomas kleines Büchlein, und dann sollte dieses auf Englisch verfilmt werden, da war ich als Autorin und Regisseurin erst einmal raus. Aber dann gelangte das Projekt doch wieder zurück nach Deutschland, wahrscheinlich, weil die Vorlage eben eine solch feine Tonalität aufweist. Dann habe ich Kontakt mit Cioma aufgenommen, mir über die Auslandsauskunft seine Nummer geben lassen und bin dann zu ihm nach Basel gefahren. Bei der ersten Begegnung habe ich festgestellt, dass wir eine sehr große Schnittmenge haben, obwohl uns vom Alter her ein halbes Jahrhundert getrennt hat. Dann habe ich den Zuschlag erhalten, seine Geschichte verfilmen zu dürfen. Im Jahr 2013 habe ich das erste Drehbuch geschrieben, aber es hat noch einmal fast sieben Jahre gedauert, den Film zu finanzieren. Vermutlich, weil nichts in den gängigen Narrativen vom bösen Nazi oder dem guten Deutschen abläuft, und vieles, was man aus anderen Filmen kennt, hier nicht vorkommt. Aber genau das mochte ich sehr, denn ich finde, dass die Geschichten aus den 40er Jahren, wenn sie in den gängigen Narrativen erzählt werden, schon ein bisschen auserzählt sind und sich wiederholen. Cioma hat aber nicht den Krieg geschildert, sondern ganz genau beschrieben, wie das Leben ist, wenn Krieg herrscht.
Louis Hofmann erscheint mir eine tolle Wahl als Cioma Schönhaus. Er strahlt in der Rolle meiner Meinung nach etwas Unbekümmertes und Unverfrorenes aus. Waren das Attribute, die Sie an Cioma selbst erkannt hatten?
Total! Louis ist meiner Meinung nach wirklich einer der begabtesten Schauspieler seiner Generation. Er war mitten in den Dreharbeiten zu der Serie „Dark“, seine Rolle da ist introvertiert und melancholisch. Im Grunde ist die Figur das genaue Gegenteil von Cioma. Cioma ist eine „volle Kraft voraus“-Figur, die es ja häufiger in Filmen gibt, die aber zumeist dann auch sehr schonungslos sind. Cioma hingegen war sehr fein. Und das hat Louis von Anfang an wunderbar eingefangen, dieses Feingeistige. Dieses vor Lebenskraft Strotzende, das musste Louis sich wirklich regelrecht „antrainieren“. Louis hat sich ein Jahr auf die Rolle vorbereitet. Das ist absolut ungewöhnlich. Ich bin unfassbar glücklich mit seiner Darstellung. Unter dem Lächeln liegt so viel. Cioma hat ja immer gelächelt und zum Teil gleichzeitig dabei geweint, und das hat Louis auch geschafft. Das ist richtig schwierig. Die Söhne von Cioma sind auch sehr glücklich mit der Besetzung.
Ciomas Enkel Joscha Schönhaus hat im Film eine kleine Rolle übernommen. Wie kam es denn dazu?
Als ich eines Tages bei Cioma im Arbeitszimmer saß, kam Joscha rein, der damals 14 Jahre alt war, aber schon genau so groß wie Cioma. Er hatte eine ganz ähnliche Haptik wie sein Großvater. Er war auf der Waldorf-Schule gewesen und erzählte mir, dass er in Theaterstücken mitspielt. Dann kam er einmal nach München und wir haben ein E-Casting mit ihm aufgenommen für „Bibi & Tina 3 – Mädchen gegen Jungs“, bei dem er die Rolle dann aber leider nicht bekommen hat. Inzwischen ist Joscha aber in meiner Heimatstadt Stuttgart auf der Schauspielschule und ich fand es toll, ihn in meinem Film dabei zu haben. Er wollte unbedingt eine jüdische Rolle spielen und da besetzte ich ihn auf Walter Heymann, obwohl der im wirklichen Leben damals etwas älter war als Joscha. Und in dieser Rolle stand er dann bei mir zum ersten Mal in seinem Leben vor einer Kamera. In Cioma hatte auch ein Schauspieler gesteckt, beim Erzählen von Geschichten wusste er immer ganz genau, wie er die Pointe zu setzen hatte.
Ich finde sehr gut, dass „Der Passfälscher“ nicht alles breit erläutert, sondern vieles nur andeutet und den Zuschauer fordert, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Das war sicherlich ganz bewusst von Ihnen so angelegt, oder?
Mich hat ein Satz im Film „Fack ju Göhte“ bis aufs Mark getroffen, weil er auch so wahr ist. Die Schüler machen darin einen Ausflug und sagen: „Bitte nicht schon wieder KZ!“ Das hat mich sehr getroffen, weil ich gemerkt habe, dass Bora Dagtekin (der Regisseur und Autor des Films, die Red.) hier den Finger auf eine Wunde gelegt und eine unangenehme Wahrheit zu Tage befördert hat. Wir müssen ein wenig aufpassen, die nächste Generation nicht zu unterschätzen. Es ist wichtig, Konzentrationslager zu besuchen, aber man muss auch versuchen, der jüngeren Generation das damalige Leben erfahrbar zu machen, denn über die reinen Fakten wissen sie schon einiges. Wenn ich in Filmen ganz schlimme Dinge aus dem Dritten Reich sehe, dann gehe ich oft in eine schützende Distanz. Cioma wollte als Mensch und in seinem Buch aber Dinge erfahrbar machen. Wir waren überglücklich, als wir entdeckt haben, dass gerade in dieser Zeit ein Bügeleisen auf den Markt kam, das man elektrisch über den Anschluss der Lampe betreiben konnte. Mit solchen Details kann man jungen Menschen die damalige Welt erfahrbar machen, ohne sie zu belehren. Das entspricht auch sehr Ciomas Naturell, denn er war komplett undogmatisch und frei. Ich finde, wenn man differenziert ist und genau und wenn man nicht die gängigen Narrative benutzt, dann kann man noch hunderte Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg erzählen. Die Nazi-Zeit wird aber sehr oft dafür verwendet, Schwarz-Weiß-Geschichten zu erzählen. Cioma hat immer gesagt: „Jeder Krieg ist für jeden Beteiligten schlimm.“ Ich weiß auch, was Cioma über den Ukraine-Krieg sagen würde, denn ihm würde auch jeder junge russische Soldat leidtun, der darin mitkämpfen muss.
Wie schwierig ist es denn heute, die Welt vor 80 Jahren wiederzuerwecken? Wo findet man die passenden Locations oder Accessoires, die man für die Ausstattung braucht?
Wir haben für den Film Förderungen in München und Luxemburg bekommen, aber leider nicht in Berlin. Das ist schon sehr absurd, dass wir in solch teuren Städten wie München und Luxemburg die 1940er Jahre nacherzählt haben. Es wäre viel einfacher gewesen, in Budapest oder Prag zu drehen, was aber fördertechnisch nicht ging. Das hat uns dann gezwungen, viel in Innenräumen zu drehen, weswegen wir dann aber sehr detailgenau sein mussten, was rückblickend ein Segen für den Film war. Deswegen haben wir ganz intensiv nach allem gesucht, was in die Zeit gepasst hat. Cioma fand es immer seltsam, dass in den meisten Filmen, die in den 1940er Jahren spielen, alle Möbelstücke aus den 40ern sind. Seine Eltern hatten beispielsweise in den 20er Jahren geheiratet, und deren Möbel stammten dann natürlich noch aus dieser Zeit. Auch war dann mal eine Wand quietsch-rosa tapeziert, weil die Tapete auch noch aus einer Zeit stammte, bevor die Nazis an die Macht kamen. Heute meint man, dass eine quietsch-rosa Tapete nicht zum Leid in der NS-Zeit passt, aber es entsprach durchaus der damaligen Realität. Mit meiner Szenenbildnerin Eva Stiebler habe ich mir dann Dokumentarfilme wie „Der Zweite Weltkrieg in Farbe“ angesehen, und wir haben uns dadurch Ideen geholt, wie beispielsweise, dass bei Frau Lange Hasen in der Wohnung gehalten werden. Auch die Utensilien für das Fälschen sind Originale. Es ist schon reichlich absurd, wie viele Foren es gibt, über die man an echte Nazi-Artikel gelangen kann, von Nazi-Christbaumkugeln über die Stempel bis hin zu Wehrmachtsausweisen. In Europa gibt es eine ganz große rechte Szene und aus dieser Szene haben wir dann über Ebay Gegenstände ersteigert, das fand ich auch ein bisschen spooky. Im Film ist wirklich alles original, die Tintenfässer, das Radierwasser, die ganzen Stempel. Es macht auch Spaß, wenn man nicht viel Geld zur Verfügung hat, wenn man das dann in Details investiert. Da habe ich als Filmemacherin ganz viel gelernt – Geld ist kein solch entscheidender Faktor, wie man immer denkt!
Ebenfalls sehr gelungen finde ich die Musikuntermalung durch Mario Grigorov, die keinen Dauerklangteppich erzeugt, sondern immer nur dezent einige Akzente setzt …
Für mich als Filmemacherin war hier die Stille sehr wichtig. Cioma war ein Mensch, der ungern alleine war. Und ich finde, dass man Einsamkeit nur über Stille erfährt. Auf der Suche nach einem Instrument für Cioma haben wir uns für eine gedämpfte Trompete entschieden, denn jüdisch zu sein in den 40er Jahren mit dem Temperament von Cioma, das ist, wie in eine Trompete zu blasen, die einen Dämpfer draufhat (lacht). Wir haben im Film viel mit Stille gearbeitet, aber andererseits auch bestimmten Motiven Instrumente zugeordnet. Die Familie und der Verlust der Familie werden musikalisch beispielsweise über das Cello erzählt. Aber Mario ist auch wirklich ein Ausnahmemusiker, er hat auch für „Precious – Das Leben ist kostbar“ aus dem Jahr 2009 die Musik gemacht.
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