Der 1983 im englischen Salisbury geborene Franzose Louis-Julien Petit begann seine filmische Laufbahn als Regieassistent, u.a. bei Filmen wie „Paris, je t’aime“ oder „Willkommen bei den Sch'tis“. Seit 2013 dreht er seine eigenen Filme, zu denen er meist auch selbst das Drehbuch beisteuert. „Rechenschaft“ lief hierzulande nur im Fernsehen, aber mit „Der Glanz der Unsichtbaren“ war er auch im Kino erfolgreich. Sein neuer Film „Die Küchenbrigade“ ist ebenfalls wieder eine Sozialkomödie und startet am 15. September in den Kinos.
engels: Monsieur Petit, wie in Ihrem letzten Film „Der Glanz der Unsichtbaren“ greifen Sie auch hier wieder mit den Mitteln der Komödie eine soziale Problematik auf…
Louis-Julien Petit: In beiden Filmen ging es mir darum, zu zeigen, wer heutzutage in der Gesellschaft Probleme hat. Im „Glanz der Unsichtbaren“ ging es um obdachlose Frauen, hier geht es nun um junge Migranten. Es war mir auch wichtig, zu zeigen, dass dies ein Problem ist, das auf ganz Europa zutrifft, nicht nur auf Frankreich. Aber dabei wollte ich eigentlich auch weniger die Probleme thematisieren, als vielmehr Lösungen aufzeigen, wie man es besser machen kann. Zusammen mit meiner Co-Drehbuchautorin Sophie Bensadoun bin ich auf Köchin Catherine Grosjean aufmerksam geworden, die jungen Migranten tatsächlich Kochkurse gibt. Ich habe mir dann die Frage gestellt, wie es sein kann, dass es junge Leute gibt, die etwas lernen wollen und Durst nach Bildung haben, es aber andererseits Beschäftigungsfelder wie die Landwirtschaft oder das Restaurantwesen gibt, in denen ein absoluter Arbeitskräftemangel herrscht oder kaum Auszubildende gefunden werden. Wie kann es sein, dass man diese beiden Dinge nicht zusammenbekommt, das war der Grundgedanke für den Film. In diesem Kurs schaffen am Ende 100 Prozent der Teilnehmer ihr Diplom, und alle erhalten am Ende eine Arbeitsstelle, manche sogar noch bevor sie ihr Diplom gemacht haben. Und dadurch erhalten sie dann auch die Papiere, die es ihnen ermöglichen, in Frankreich zu bleiben. Das alles wollte ich in die Form bringen, die mir am meisten gefällt – die Sozialkomödie.
Viele der Migranten tragen im Film ihre echten Namen, heißt das, dass sie sich selbst gespielt haben bzw. ihre eigenen Geschichten in das Drehbuch eingeflossen sind?
Ursprünglich habe ich mich mit dreihundert jungen Migranten für die Rollen getroffen, einhundert von ihnen habe ich dann zu Workshops eingeladen. Mit 50 von ihnen habe ich dann mit dem Dreh des Films begonnen, der recht ungewöhnlich ablief, weil er komplett chronologisch aufgenommen wurde. Als Cathy alias Audrey Lamy die jungen Männer das erste Mal trifft, war es wirklich die erste Einstellung, die wir gedreht haben. Und die Schlussszene mit Yannick Kalombo alias GusGus war auch wirklich die letzte Szene, die wir gedreht haben. Insofern hat mit allen hier während der Dreharbeiten eine reale Entwicklung stattgefunden, die das Publikum dadurch quasi eins-zu-eins miterleben kann. Alle der jungen Migranten waren tatsächlich unbegleitete Minderjährige, als sie in Frankreich ankamen, zu Beginn der Dreharbeiten waren sie – mit Ausnahme von Yannick Kalombo – dann aber alle bereits volljährig. Die jungen Männer bekamen von mir kein Drehbuch zu lesen, ich habe ihnen lediglich schon während der Workshops ihre Geschichten erzählt. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch verschiedene Kandidaten für die Rollen von Djibril, Mamadou oder GusGus. Indem ich sie die einzelnen Szenen dann nach groben Vorgaben improvisieren ließ, wollte ich ihre Spontaneität und ihre Aufrichtigkeit und Authentizität bewahren, was meiner Meinung nach ganz gut funktioniert hat.
Audrey Lamy hat nach „Der Glanz der Unsichtbaren“ nun zum zweiten Mal bei Ihnen eine Hauptrolle bekommen. Stand Sie für die Rolle schon während des Drehbuchschreibens fest?
Bei Audrey hatte ich nach unserer ersten Zusammenarbeit einfach das Gefühl, dass wir noch etwas zusammen zu erzählen haben. Sie passte für diese komplexe Rolle einfach perfekt, weil sie die drei wichtigsten Eigenschaften in sich vereint, die mir wichtig sind: Humor, Liebe und Menschlichkeit. Die Figur Cathy ist populär, ohne ordinär zu sein, sie ist streng, aber trotzdem leidenschaftlich. Sie hat ein sehr weibliches Aussehen, aber auch einige typisch männliche Eigenschaften. Audrey hat als Vorbereitung für die Rolle sechs Monate in einer Küche bei einem großen Chefkoch verbracht und dort vor allen Dingen das richtige Vokabular gelernt. Dort hat sie auch viel über die Frauenfeindlichkeit erfahren, die in den großen Küchen oft herrscht. Ich wollte, dass sie eine Figur spielt, die ein wenig frustriert ist, weil sie nicht alles kann. Und Audrey hatte in den sechs Monaten auch nicht die Zeit, alles zu lernen, was ihrer Interpretation zugutekam. Sie hat sich in dieser Zeit hauptsächlich auf all das vorbereitet, was in der Küche wichtig war, aber überhaupt nicht in Bezug auf die Jugendlichen. Aber genau das war ja auch für die Rolle wichtig und machte Audreys Interpretation dann umso realistischer.
Der Küchenfilm hat in der französischen Filmgeschichte bereits Tradition. Wollten Sie darauf Bezug nehmen oder auf die Form aktueller Fernsehkochshows, die ja ebenfalls im Film vorkommen?
Nein, mit diesen Kochfilmen wollte ich keinesfalls irgendwie mithalten, die interessierten mich hier nicht sonderlich. Mir ging es hier eher um die Weitergabe eines Handwerks, um die Vermittlung von etwas, das man mit wahrer Leidenschaft macht. Die Cathy im Film ist keine große Köchin, obwohl sie natürlich davon träumt, eine zu sein. Aber Cathy hat eine große Leidenschaft für das Kochen, und es gelingt ihr, diese Leidenschaft weiterzugeben. Sie gibt diesen jungen Männern die Leidenschaft für das Essen weiter, oder zeigt ihnen, wie wichtig es ist, einen Teller schön anzurichten. Davon abgesehen kocht sie gar nicht sehr französisch, sondern eher multikulturell. Das war mir ebenfalls wichtig, denn seit Jahrzehnten besteht die französische Küche eigentlich nur noch fort, weil sie von Ausländern ausgeübt wird, also von Migranten, die auf ähnliche Weise wie die Figuren im Film nach Frankreich gekommen sind.
Sie haben auf der Kinotour zu „Der Glanz der Unsichtbaren“ in Köln gesagt, dass viele Ihrer Filme auch politisch etwas verändern konnten, weil Sie die Menschen zum Umdenken gebracht haben. Ist das vielleicht auch hier schon der Fall?
Am Ende des Films wird eine Telefonnummer eingeblendet, die wir uns schon in der Drehbuchphase gekauft haben. Sie verweist auf einen Verein, der junge Migranten mit Arbeitgebern in Verbindung bringen soll, die Auszubildende suchen. Der Film war Ende März in Frankreich angelaufen, und schon Anfang April hatten uns mehr als 5.000 Anrufe auf dieser Nummer erreicht. Ich möchte der Zivilgesellschaft die Hand reichen, denn ich glaube, dass man durch Kino nicht nur Einstellungen verändern kann, sondern auch dazu anspornen kann, dass die Menschen zur Tat schreiten. Auch in Deutschland kommen junge Migranten an, die etwas lernen wollen oder eine Ausbildung absolvieren möchten. Das wird uns noch lange beschäftigen, denn durch die Kriege, die es gibt, und durch die Auswirkungen der Klimakrise wird auch die Migration von Menschen nicht nachlassen. Wir müssen das zu unserem Vorteil nutzen und etwas Positives daraus machen.
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