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Affinity Konar: Bejubelt von der US-amerikanischen Literaturkritik
Foto: © Gabriela Michanie

Ein notwendiger Roman

31. August 2017

Affinity Konar überrascht mit ihrem Meisterwerk „Mischling“ – Textwelten 09/17

„Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren“, stellt sich Dante das Motto über dem Eingang zur Unterwelt vor. Andere schrieben in eisernen Lettern „Arbeit macht frei“. Auf jeden Fall scheint die Hoffnung so etwas wie den Zündfunken menschlichen Lebens darzustellen. An der Darstellung der Hölle hat sich schon so mancher versucht, um dann unweigerlich zu scheitern. Die 39-jährige Affinity Konar ließ sich jedoch nicht schrecken, ihr Roman „Mischling“ erzählt von jüdischen Zwillingsmädchen, die im Herbst 1944 nach Auschwitz kommen und von Josef Mengele für medizinische Experimente ausgesucht werden.

Will man die Welt aus den Augen der Opfer dieses Wahnsinnigen betrachten? Wer soll das lesen, zumal der Roman von einer Kalifornierin der nachgeborenen Generation stammt? Wie sollte sie sich messen können mit den Augenzeugenberichten einer Ruth Klüger, eines Primo Levi oder Imre Kertész? Von Kertész hat Konar viel gelernt, denn dessen leicht ironischer Unterton in der Beschreibung der Banalität des Bösen, klingt verwandt, wenn man Stasia und Perle abwechselnd erzählen hört. Die beiden Zwölfjährigen werden mit ihrer Mutter und ihrem Großvater deportiert, und schon während des Transports beginnen sie im Eisenbahnwaggon die Welt um sich herum ein Stück weit auszuklammern, indem sie sich magische Spiele ausdenken. Von Mengeles unbarmherzigen Helfern werden sie später getrennt, erleiden unterschiedlich folgenschwere Martyrien. Man muss wissen, dass die Schreie der von Mengele Ausgesuchten so enervierend häufig nach außen gedrungen sind, dass sich selbst die Wachen über dessen sadistische Besessenheit mokiert haben.

Konar hat das Thema der misshandelten Kinder nicht mehr losgelassen, seit ihr als Teenagerin die Dokumentation „Children of the Flames“ von Lucette Matalon Lagnado und Sheila Cohn Dekel in die Hände geriet. Jetzt jubelt die US-amerikanische Literaturkritik über das gute Gelingen ihres erst zweiten Romans. Zu Recht, denn mit dem Verschwinden der Zeugen erlischt nicht die Notwendigkeit, sich mit der Shoah auseinanderzusetzen. Wie notwendig sie ist, zeigt sich an der zunehmenden Aggression gegenüber Minderheiten und dem aufkommenden Antisemitismus. Man darf sich in die Realität anderer Menschen zu anderen Zeiten hineindenken. Das ist die Aufgabe der Literatur. Allein der Ton muss überzeugen.

Die Zwillinge besitzen unterschiedliche Stimmen, Stasia fabuliert mehr als Perle, die das tragischere Schicksal erleidet und mit geradem Blick erzählt. Man erlebt, wie die Mädchen ihren Peiniger umgarnen, wie trickreich sie sich verhalten und wie ihr Bewusstsein abdriftet in Momenten des bedingungslosen Ausgeliefertseins. Stasia entkommt bei der Evakuierung des Lagers und begibt sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Schwester. Konar kokettiert nicht mit der Bitterkeit ihres Sujets, vielmehr folgt man den Mädchen, weil sie nie ihre bezwingende Lebendigkeit verlieren. Fatalismus vermischt sich mit Humor und einer feinen, märchenhaften Note. Konar pulverisiert souverän den Begriff des Opfers und beschenkt ihre Leser mit der beglückenden Erkenntnis menschlicher Unbeugsamkeit.

Affinity Konar: Mischling | Aus dem Englischen von Barbara Schaden | Hanser | 366 S. | 24 €

Thomas Linden

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