Die Erbinnen
Paraguay, Deutschland, Uruguay, Norwegen, Frankreich, Brasilien 2018, Laufzeit: 98 Min., FSK 0
Regie: Marcelo Martinessi
Darsteller: Ana Brun, Margarita Irún, Ana Ivanova
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Emanzipationsgeschichte mit stiller Wucht
Raus aus dem goldenen Käfig
„Die Erbinnen“ von Marcelo Martinessi
Interview mit Regisseur Marcelo Martinessi
Chela und Chiquita sind die titelgebenden Erbinnen, die wie ein altes Ehepaar in einem bürgerlichen Viertel in Asunción leben. Die beiden Frauen sind um die sechzig Jahre alt, ihr Leben erschöpft sich zusehends. Ihnen geht die Jugend aus, mit der sie einst in die Karaoke-Nächte der paraguayischen Hauptstadt eintauchten, vorbei sind auch die Tage ihrer Liebe. Vor allem aber geht ihnen das Vermögen aus, von dem sie gelebt hatten. Das Inventar ihres Wohnzimmers steht jetzt zum Verkauf: die wertvollen Stühle und Tische, das feine Porzellan, die Kristallgläser und das Silberbesteck, der ganze aus Europa eingeführte Neo-Klassizismus.
Das neue Dienstmädchen wird in die Ordnung der Dinge eingewiesen. Diese ist jedoch nur noch Schein, nichts ist mehr an seinem Platz. So wie das Mobiliar den Besitzer wechselt, gerät auch das Leben der Erbinnen in Bewegung. Chiquita muss wegen Betrugs und Schulden ins Gefängnis, Chela bleibt allein im Haus zurück. Regisseur Marcelo Martinessi inszeniert in seinem mehrfach preisgekrönten Langfilmdebüt die Abgeschiedenheit des häuslichen Raumes mit spärlichem Lichteinfall, die Objekte schimmern bei ihm zart und verloren, immer wieder taucht Kameramann Luis Armando Arteaga („Ixcanul“, „Eldorado XXI“) die auf 35mm gebannten Innenräume nahezu vollständig in ein sattes Schwarz.
Bald jedoch bricht das Licht der Straße in die Bilder hinein, als Chela (Ana Brun, Silberner Bär 2018) Fahrdienste für die befreundete Nachbarschaft übernimmt. In ihrem noch aus den 1970er Jahren stammenden dunkelgrünen Mercedes verdient sie zum ersten Mal Geld, lernt neue Leute kennen, verliebt sich. Mit den Aufträgen entkommt sie ihrem Leben, das in der Materialität der Erbschaft wie im goldenen Käfig gefangen war. Es sind Fahrten in die Freiheit; schließlich emanzipiert sie sich auch von der sie dominierenden Chiquita.
Die ruhigen Alltagsinszenierungen, und das macht die Meisterschaft von „Die Erbinnen" aus, grundiert Martinessi mit dem Seelenzustand seines Landes. Paraguay, das dunkle Herz Südamerikas, ist abgeschieden wie das Leben der Mittelschichtsfrauen, der Erbinnen des Landes. Es ist geprägt von einer Geschichte der Einwanderung, und die Erbstücke des Bürgertums zeugen auch von der Zuversicht, mit der man einst in das als „menschenleer“ beworbene Land kam, um ein neues Leben zu beginnen. Der Abschied von der alten Ordnung vollzieht sich hier zudem in einer Generation, die von der über dreißig Jahre dauernden totalitären Präsidentschaft Alfredo Stroessners geprägt ist. Die Emanzipationsgeschichte des Landes, das ist die Pointe von Martinessis Film, erzählt er als Geschichte der Frauen: „Die Erbinnen“ besteht aus einem rein weiblichen Cast, Männer tauchen hier allenfalls als Begleiterscheinung des Alltags im Hintergrund auf, eine Rolle spielen sie nicht. Ganz als wäre der Neuanfang in Paraguay nur jenseits der patriarchalen Strukturen denkbar.
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