Hard Candy
USA 2004, FSK 0
Regie: David Slade
Darsteller: Patrick Wilson, Ellen Page, Sandra Oh, Jennifer Holmes, Gilbert John
Leider nur eine ganz billige und platte post-feministische Lynchjustiz-Phantasie...
SeBiG (30), 10.07.2010
Ich gebe zu: Am Anfang haben sie auch mich gekriegt mit dieser Produktion, in der das süsse kleine Mädchen auszieht, um mit dem bösen Kinderschänder abzurechnen. Hat ja auch einen gewissen Unterhaltungswert, worauf der Film vordergründig abzielt - sein Popcorn mampfend dabei zu zu schauen, wie ein Teenager-Mädel sich unverhohlen in dem Sadismus suhlt, seinem hilflosen Opfer den Spieß umzudrehen und dem mal so richtig einzuschenken, der sich ansonsten an seiner Spezies vergreift.
Je länger man sich in der Tiefe mit dem Treiben auf dem Leinwand auseinander setzt, um so deutlicher drängt sich einem die Frage auf: Was soll das hier bitteschön eigentlich sein? Das Rundum-Sorglos-Rezept für den "einzig richtigen" Umgang mit Pädophilen (kurz gesagt: Kastrieren, bis zum Nervenzusammenbruch quälen und anschliessend dafür sorgen, dass diese "Bestien" der Menschheit in Zukunft erspart bleiben)?
Die angebotene "simple Lösung" (suchen wir in diesen komplizierten Zeiten nicht alle händeringend nach "einfachen Lösungen"?), die Schiene, auf der dieser Film den Zuschauer enthemmt, ihm also jedwedes moralische Recht zuspricht, das Suuuuper zu finden, was er da gerade anschaut (schliesslich sind Kinderschänder im ausgehenden 20.sten / beginnenden 21.sten Jahrhundert ja DAS gesellschaftliche Abziehbild für "Das Böse" / "Das Unbegreiflich-Unerträgliche" / "Das, was auf JEDEN Fall bekämpft werden muss" schlechthin) kommt, liest man die einhelligen Meinungen zu diesem Film, beim Publikum gut an - funktioniert dabei aber letztendlich genauso eindimensional und unreflektiert wie die Propaganda, mit der autokratische Diktaturen ihre Untertanen auf das gerade gewünschte Feindbild einschwören: Dieses zu "entmenschlichen" und damit jede noch so unmenschliche Handlung, ihnen gegenüber zu rechtfertigen. So haben es die Nazis mit den Juden gemacht (und ihre Schergen hatten kein Problem mehr damit, diese in Massenvernichtungsanstalten wie Tiere zu behandeln, zu foltern und schlussendlich umzubringen) und so machen es die Führer der westlichen Industrienationen mit "dem neuen Erbfeind", dem sog. Terrorismus, zu dessen Ausrottung derzeit wirklich jedes Mittel recht ist.
Dabei ist es im Falle von "Hard Candy" wirklich ganz einfach, den hier wirksamen Mechanismus als Einladung zur post-feministische Lynch-Justiz zu enttarnen: Ein nicht unerheblicher Anteil von Kindesmissbrauch wird von Frauen begangen. Oh! Schade, funktioniert das hier angebotene Rezept zur "Entsorgung" des aufgedeckten gesellschaftlichen Mißstandes leider nicht mehr. Wieso denn nur? Weil (laut gesellschaftlich vorherrschenden Meinung) immer der Mann das Schwein ist, der Mann mit seinem bedrohlichen Penis, der Mann der sich aufdrängt, rücksichtslos gegen den Willen seines "Opfers" penetriert, klar, da hilft nur noch der Griff zu Schere...
Dabei geht es wirklich nicht darum, hier eine Lanze "Verständnis" für die Pädophilen zu brechen - dem einen oder anderen Zeitgenossen werden vielleicht aber doch irgendwo unangenehm die Vergleiche zu politischen Ereignissen der letzten Jahre in Deutschland einfallen, wo Mal um Mal die Sau "Kinderpornographie" durch's bundesdeutsche Dorf getrieben wird, um die neuesten, die Bürgerrechte immer weiter einschränkenden Gesetzesvorhaben der Machthaber zu rechtfertigen ("Terrorismus" als Rechtfertigung dafür, dass bundesdeutsche Strafbehörden uns in immer zunehmendem Maße überwachen, kontrollieren, in unserer Privat-Sphäre herumschnüffeln dürfen, hat sich irgendwann als nicht mehr ganz so glaubwürdige Rechtfertigung erwiesen); und genau da haben wir es wieder, das billige gesellschaftliche Abziehbild vom Kinderschänder, auf dessen Mühlen Filme wie "Hard Candy" eine ganze Schwimmbadladung Wasser kippt - denn zu der Ausrottung von SOWAS ist doch letztendlich wirklich jedes Mittel recht, stimmt's?
Nur so ganz am Rande: Deswegen sieht Ellen Page als Hayley wie alles mögliche aus - nur nicht wie der 14jährige Teenager, den sie darstellen soll. Deswegen darf Hayley - von der sich als Pointe gegen Ende herausstellt, dass sie sowas offensichtlich öfters macht - durch die Handlung stolpern und alle möglichen Fehler begehen, (schliesslich muss bei dem vorhersehbaren Ende ja irgendwo der Spannungsbogen her kommen) und bleibt ihrem Opfer trotzdem immer eine Nasenlänge voraus. Deswegen muss Patrick Wilson, der sich für die undankbare Aufgabe hat kaufen lassen, uns allen den Buhmann zu machen, wohl noch am meisten ob des pausenlos nervigen Gequatsches seines Gegenübers die Augen verdrehen, ist Hayleys Gesülze ohne Punkt und Komma zu den schrecklichen Untaten, die Jeff begangen hat, doch unbedingt notwendig, um uns wirklich jede Minute daran zu erinnern: "Hey, was ich hier mache, hat mit "political correctness" zwar absolut nichts mehr zu tun - aber der Typ hier hat schliesslich seine Menschenrechte verwirkt!"
...und wenn wir am Ende des Filmes alles satt-voyeuriert das Kino verlassen, sind wir alle furchtbar erleichtert, dass im Leben im Grunde genommen alles doch eigentlich "ganz einfach" ist, stimmt's?
Meeeehrr Zukkkärrrr!
Dr. Bunsen Honeydew (6), 14.12.2006
Exkurs (in Liebe gewidmet an soccsss & kinokeule):
Entgegen der landläufigen Annahme haben Informationen bedeutend höheren Wert, wenn durch sie "der Genuss Dritter am Konsum eines Mediums nicht verdorben wird. [...] Die unerbetene Weitergabe von Spoilern gilt deshalb allgemein als grobe Unhöflichkeit."
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Spoiler_%28Medien%29
Seinen Faible für Charaktere in Zerwürfnissen lies Herrn Brian Nelson (written by) schon einige seiner Geschichten formen. Bisher fast ausschließlich für Episoden schreibend ('Wolffs Revier', 'JAG', '20.000 Leagues under the Sea', etc.) erweist er sich spätestens jetzt mit 'Hard Candy' als viel versprechenden Autor.
Die Grundidee der Handlung ist keine einfache Kost und hätte leicht ins Alberne (oder gar TV-Thriller-Niveau) sacken können. Dass dies nicht der Fall ist, bestärken die widersprüchlichen Aussagen und Handlungen der Figuren. Das großartige Zusammenspiel seitens Regie, Kamera, Schnitt, Musik und Schauspieler ist beeindruckend. Es erfordert ein hohes Maß an Offenheit um eine derartige Leistung zu erreichen.
Dieser Film ist weder Familienunterhaltung noch Partyfilm. Dem Zuseher wird maßgebliches Nachdenken abverlangt. Nichts in der Geschichte ist richtig oder falsch.
'Hard Candy' wirft viele Fragen auf, ohne dabei eine allgemein gültige Antwort zu erzwingen. Klischees findet man selten, gleichwohl die Akteure gewollt bestimmte Bilder hervor rufen. Somit vermögen Schubladenfächer sich verlockend selbsttätig zu öffnen. Doch fügt sich der Situation in einem Moment ein Fragment hinzu, ist man gezwungen dies sogleich zu hinterfragen. Und kühlt sich die Szenerie etwas ab, werden bereits neue Andeutungen geboten.
Bis zuletzt ist unklar, welche Meinung zum Thema vertreten wird und ob das Gezeigte politisch korrekt ist. Vielmehr wird der Zuschauer ohne klare Botschaft entlassen, außer: Man muss sich selbst ein Urteil bilden. Einer jener Filme nach denen es leiser zu werden scheint.
Kritiker dieses Films mögen anmerken, die Handlung sei ausnahmslos unrealistisch. Diesen Punkt kann man gelten lassen. Wie so oft eine Frage des Geschmacks. Meine Schmerzgrenze liegt bei 'Triple X'.
Der Fluch der Fortsetzungen möge diesen Stoff meiden.
PMS 0.6
ein echter Thriller und ein Geheimtipp
diehim (53), 24.10.2006
Die 14-jährige Hayley zieht uns gleich in den Bann. Sie chattet - und offensichtlich mit einem viel älteren Mann. Man ahnt nichts Gutes. Und Hayley treibt nicht nur mit ihrem Chat-Lover, sondern auch mit dem Zuschauer ein schauriges Spiel. Das Treffen bei Jeff, einem attraktiven Modefotografen um die 30, endet in einem wahren Showdown, so kühl inzeniert, so verblüffend und irritierend gespielt. Unschuld, Schuld, Rache, Opfer und Täter werden so verstörend durcheinander gewirbelt, dass man beim Zusehen selbst den Boden unter den Füßen verliert. Hayley ist vor allem nichts für schwache männliche Nerven. Versprochen.
4 von 5 Ärzten sagen ich sei verrückt
Kinokeule (541), 06.07.2006
Der Film ist einer dieser versteckten Perlen, wie sie nur selten im Kino vorkommen, auch wenn nicht alles hundertprozentig stimmig ist.
Sehen wir die 14-jährige Hayley in der ersten halben Stunde als zwar clevere, aber dennoch leicht zu beeindruckende Teenie-Maus, so wandelt sie sich kurze Zeit später in eine EPO-Lolita ohne Gnade.
Und je härter Hayley zu Gange geht, desto mehr wird der Zuschauer genötigt, sich auf die Seite des vermeintlich Pädophilien zu stellen. Das geht jetzt echt zu weit, möchte man meinen und die Stammtischparole ?Schwanz ab für alle Kinderschänder? wird brüchig, denn hinter jedem dieser Monster steckt doch auch ein leidensfähiger Mann (schnief!). Wobei die Kastrationsszene mit zum härtesten Stuff der letzten Jahre zählt. Aber Obacht: ?Hard Candy? ist nix für Kinovoyeure mit einem Faible für Sex und Splatter. Hier geht es etwas intelligenter zu.
Für eine 14-jährige ist Hayley natürlich total unglaubwürdig. Woher hat sie all das Wissen und die körperlichen Fähigkeiten um in den Auseinandersetzungen mit Jeff stets die Oberhand zu behalten? Ihre psychologische Kriegsführung ist dermaßen ausgefeilt, dass ihr beim Pentagon eine große Karriere offen stehen würde. Woraus resultiert ihr Antrieb? Ist sie einfach nur verrückt oder als Racheengel unterwegs? O.K. Antworten auf diese Fragen blieben mir offen, was aber für den Filmgenuss nicht entscheidend war (4 Sterne).
Ein großartiges Kleinod
socsss (63), 27.06.2006
"Hard Candy" ist ein Film, in den man sich erst ein paar Minuten einarbeiten muss! Er läßt sich anfangs Zeit, die beiden (denn letztlich sind es nur zwei) Charaktere vorzustellen, um dann langsam aber sicher eine völlige Kehrtwendung der bisher gezogenen Schlüsse und Urteile herbeizuführen.
Zugegeben, anfangs kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, einen richtig kranken Film zu sehen - bevor der Film dann Stück für Stück unter Beweis stellt, dass es noch deutlich kranker geht, wenn auch unter umgedrehten Vorzeichen!
Es entwickelt sich ein psychologisches Duell zwischen einer starken Teenagerin und einem schwachen, insbesondere psychisch schwachen, Erwachsenen, in deren Verlauf graduell die Grenzen der psychischen Belastbarkeit sowohl des männlichen Gegenparts als auch der Zuschauer getestet und die Schwächen und die Schuld des männlichen "Opfers" offenbart werden.
Die letztlich nie genau definierte Rolle der grandios spielenden Ellen Page entwickelt sich dabei zur universellen Rachegöttin aller sexuell mißbrauchten Teenager, ohne dabei zum abwegigen Abziehbild zu verkommen, und setzt dabei in die Tat um, was jeder Zuschauer in schwachen Augenblicken gerne mit Pädophilen machen würde! Wobei ihre Stärke ist, dass sie auf psychologischer Ebene arbeitet: Sie läßt die Unsicherheiten, Eitelkeiten, Ängste und Schuldgefühle des Pädophilen gegen ihn arbeiten, nicht (oder nur ausnahmsweise) ihre eigene moralische Überlegenheit oder gar ihre Physis!
Visuell und schnitttechnisch setzt der Film Maßstäbe, gerade weil er die Schnitte und Nahaufnahmen nicht willkürlich, sondern immer gezielt und sinnvoll einsetzt, um den jeweiligen Eindruck auf der Leinwand zu verstärken. Zusammen mit dem Sound bewirkt dies, das sich das Geschehen ausschließlich im Kopf der Zuschauer abspielt - immer ein Qualitätsmerkmal eines guten Films, wenn es denn wie in diesem Fall gelingt!
Wer solche eher kleinen psychologischen Kammerspiele mag, sollte sich "Hard Candy" auf jeden Fall ansehen, auch wenn der Filmtitel nicht ganz zu unrecht harte Kost ankündigt - die Süßigkeiten halten sich denn allerdings in eng gesteckten Grenzen ;-)...! Männern mit schwerer Kastrationsangst sei allerdings vom Kinobesuch abgeraten ;-)...
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