Ich Capitano
Italien, Belgien 2023, Laufzeit: 122 Min., FSK 12
Regie: Matteo Garrone
Darsteller: Seydou Sarr, Moustapha Fall, Issaka Sawadogo
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Bildgewaltiges Flüchtlingsepos
Odyssee nach Europa
„Ich Capitano“ von Matteo Garrone
Eine ärmliche, aber sicher nicht die ärmste Gegend in Dakar, der Hauptstadt des Senegal: Hier wohnt der 16-Jährige Seydou mit seiner Mutter und den jüngeren Geschwistern in einer kleinen Behausung, in der sie alle in einem großen Wohnraum auf dem Boden schlafen. Während die Mutter auf dem Markt einen Verkaufsstand hat, gehen die Kinder zur Schule. Allein das scheint schon ein nicht selbstverständliches Privileg zu sein. Doch Seydou und seinem gleichaltrigen Cousin Moussa reicht das nicht. Die vagen Versprechungen eines leichteren, vielleicht sogar luxuriöseren Lebens lassen beide von Europa träumen. Dort wollen sie es als Musiker versuchen – und wenn sie erst einmal erfolgreich sind, „weißen Fans Autogramme geben“. Dafür gehen sie seit vielen Monaten nach der Schule heimlich auf einer Baustelle arbeiten. Das gesparte Geld soll die Reise finanzieren. Bald haben die beiden genügend beisammen, um die Busreise nach Mali, neue Pässe sowie die Schlepper zu finanzieren, um durch die Sahara nach Libyen zu gelangen. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung nach Italien. Zumindest glauben sie das.
Der italienische Regisseur Matteo Garrone hat mit seinen Mafiafilmen, dem realistischeren „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“ (2008) und dem absurderen „Dogman“ (2018) gezeigt, dass er bereit ist, die brutalen Schattenseiten des menschlichen Daseins in Szene zu setzen. Bei der Odyssee von Seydou und Moussa in „Ich Capitano“ spart er die Brutalität zwar nicht aus, aber er setzt sie nur selten voll ins Bild. Wenn ein Flüchtling bei der Fahrt quer durch die Wüste vom durchgeschüttelten Pick-up fällt, sieht man das nur im Hintergrund. Stattdessen zielt die Kamera auf die Mitreisenden, die den Fahrer verzweifelt zum Anhalten bewegen wollen. Diese fürsorglichen Momente zeigt Garrone in seinem Film immer wieder, und mitunter auch mit märchenhaften Charakter (zuletzt hatte er das Märchen „Pinocchio“ verfilmt), auch wenn es nur kurze Momente sind, mit denen die Reisenden versuchen, sich gegen das Schicksal ihrer Leidensgenoss:innen und ihr eigenes aufzulehnen. So zum Beispiel, wenn Seydou eine erschöpfte Frau beim Fußmarsch durch die Wüste vor dem sicheren Tod bewahren will. Oder wenn er sich um eine hochschwangere Frau kümmert. Oder, einmal anders herum, wenn ein älterer Mann Seydous Leben vor dem Terror der Mafia – organisierte Kriminalität gibt es hier auch – rettet. Der Film zeigt aber vor allem die lange Kette an kaltblütigen Nutznießern – Passfälscher, Schlepper, Gangster und auch die Polizei und das Militär. Denn die Flüchtlingsströme sind – aus Not, Verzweiflung oder im Fall unserer beiden Protagonisten auch aus Naivität und Übermut – für die einen ein Hoffnungsschimmer, für den sie mit viel Geld und oft auch mit dem Tod bezahlen, für die anderen aber sind sie eine sichere Geldquelle. Garrone behält mit „Ich Capitano“ diese Kaltschnäuzigkeit als auch das Leid der Flüchtlinge im Blick. Doch vor allem Seydou wird im Film nicht nur als Opfer stigmatisiert. „Ich Capitano“ ist auch eine Heldenreise, ein Coming of Age-Drama, das unseren Protagonisten an all den schrecklichen Herausforderungen wachsen lässt, auch wenn dieser Reifeprozess in Europa kaum zu Anerkennung führen wird. Anders als in den täglichen Nachrichten hören wir nicht nur von den vielen namenlosen Toten im Mittelmeer, sondern erfahren von den Strapazen und Gefahren, die die häufig jungen Menschen auf ihrer Odyssee bereits auf dem afrikanischen Kontinent auf sich nehmen müssen. Und so gibt es hier auch keine weißen Grenzsoldaten und auch keine weißen Retter. Diese Geschichte erzählt Garrone nicht. Er konzentriert sich ganz auf die bislang nur selten erzählten Geschichten, die er sich in italienischen Flüchtlingslagern von jugendlichen Migranten hat erzählen lassen. In Senegal traf er hingegen die beiden Schauspieldebütanten Seydou Sarr als Seydou und Moustapha Fall als Moussa, die all jenen eine würdevolle Stimme geben.
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