Nur etwa ein Drittel aller Neuerscheinungen sind von Frauen, die anderen zwei Drittel sind von Männern dominiert. Warum im 21. Jahrhundert immer noch keine Parität im Literaturbetrieb herrscht, erklärt Nicole Seifertin ihrem Werk „FrauenLiteratur – Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“.
Auf knapp 180 Seiten erklärt Seifert, wie sich die historisch gewachsene, systematische Abwertung von Frauen im Literaturbetrieb gestaltet und wie der „sich selbst erhaltende Kreislauf“ zwischen Verlagen und ihren Programmen, dem literarischen Kanon und der Lehre, Buchkritikern und Publikum aufrechterhalten wird. Seifert spricht dabei eine ganze Reihe wichtiger Aspekte an: Nicht nur erhält man eine historische Einordnung der ersten schreibenden Frauen und ihrer damaligen wie heutigen Rezension, man erfährt auch, warum sie vergessen wurden, während ihre männlichen Gegenspieler im Gespräch blieben. Daran schließen sich Gedanken zum bestehenden Kanon und die Be- und Abwertung von (Frauen-) Literatur sowie zur Rolle von Verlagen und dem Feuilleton an – und nicht zuletzt eine Diskussion gängiger Argumente gegen Quoten im Literaturbetrieb.
Die promovierte Literaturwissenschaftlerin und gelernte Verlagsbuchhändlerin hat ihre Liebe für Literatur von ihrem Vater geerbt und wie dieser schon als Kind eine Liste angefertigt mit allen Werken, die sie je gelesen hat. So war es für sie einfach nachzuvollziehen, wie ihre persönliche Quote von Autoren und Autorinnen war: Es waren vor allem Männer vertreten. Und so beschloss Seifert, erstmal nur noch Werke von Frauen zu lesen und diese in ihrem Blog „Nacht und Tag“ zu besprechen.
Neben den spannenden Gedanken, Studien und Beispielen, die sie in „FrauenLiteratur“ anbringt, bietet das Werk auch eine wunderbare, umfangreiche Leseliste mit Titeln, die eigentlich prägend für die Literaturgeschichte erscheinen, aber eher weniger bekannt sind. Doch Literatur sollte nicht nur die Geschichten von weißen cis-Männern erzählen, sondern von allen Lebensrealitäten. Schaut man auf kanonisierte Werke und in die Literaturprogramme der letzten Jahre, ist das nicht der Fall. So ist Seiferts Werk auch ein Aufruf zu hinterfragen, welche Bücher man konsumiert und dazu beizutragen, dass schreibende Frauen nicht vergessen, sondern wiederentdeckt werden.
Nicole Seifert:FrauenLiteratur – Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt | Kiepenheuer & Witsch | 224 S. | 18 €
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