Im März 1902 versammelten sich Beamte der Eisenbahn und der Postverwaltung im damaligen Viktoria-Hotel zu einer Gründungsversammlung. Der Anlass: Der Mangel an Wohnraum. Das Ergebnis: die Gründung des „Beamten-Wohnungsverein zu Bochum“, um den Mitgliedern „gesunde und billige Wohnungen“ zur Verfügung zu stellen. Über 120 Jahre später ist der Beamtenstatus längst keine Voraussetzung mehr, um beim heutigen Wohnungsverein zu Bochum (GWV) einen Mietvertrag zu unterzeichnen. Mittlerweile hat die größte Genossenschaft in der Ruhrgebietsstadt knapp 4.400 Mitglieder und verwaltet über 3.000 Haushalte.
Wohnen in Krisenzeiten
Geblieben ist nicht nur das Ziel der GWV, ihren Mieter:innen vier Wände zu fairen Preisen bereitzustellen. Gerade die ökonomischen Parallelen zur Gründungs- und Konsolidierungsphase der Genossenschaft springen ins Auge. So umfasste ihr Bestand 1914 bereits 424 Wohnungen, die in nur 12 Jahren gebaut wurden – trotz Weltkrieg, Inflation oder steigenden Zinsen. Ähnliche Krisensymptome sind auch heute allgegenwärtig. Deswegen gibt es für viele Mieter:innen gute Gründe, sich einer Genossenschaft anzuschließen. „Der größte Vorteil ist die Unkündbarkeit der Wohnung“, sagt Micha Heimbucher, technischer Vorstand der GWV, der zugleich die geringeren Kosten anführt: „Wir sprechen hier von gedämpften Mieten im Vergleich zum Markt.“
Genossenschaften verzichten darauf, mit Investoren zu handeln. „Wir müssen keinen Aktionären Geld ausschütten, deswegen können wir günstiger sein“, betont Christian Knibbe, kaufmännischer Vorstand. „Hundert Prozent der Mieten kommen der Genossenschaft zugute.“ Die Einnahmen fließen in die Modernisierung der Infrastruktur oder in die nachhaltige, soziale Entwicklung von Quartieren. Zu diesem „ganzheitlichen Ansatz“ gehöre die Bereitstellung von Lastenrädern oder Carsharing, aber auch der Bau von Spielplätzen. „Es hat bei uns zugleich einen Stadtentwicklungscharakter“ meint Knibbe. „Wir investieren daher nicht nur in Steine, sondern auch in Menschen.“
Ganzheitlicher Ansatz
Neben diesem Fokus auf das Zusammenleben gehören demokratische sowie partizipatorische Elemente zu den Basics. So wählen die GWV-Mitglieder Verteter:innen, die einmal im Jahr in einem „Parlament der Genossenschaft“ zusammenkommen, um u.a. einen Aufsichtsrat zu wählen. Zudem fließen Mitgliederbefragungen in die Planungen ein. „Die Mitglieder haben eine Stimme, deswegen ist eine Genossenschaft demokratisch aufgestellt“, so Knibbe.
Doch findet sich im genossenschaftlichen Prinzip ein Alternativmodell zum aufgeheizten Wohnungsmarkt? In dieser Hinsicht äußert sich der GWV-Vorstand skeptisch. „Mit unseren Bestand ist unser Einfluss begrenzt, um daraus ein politisches Leitbild zu schaffen. Es ist also nicht realistisch und gut, das als einziges Modell zu sehen“, erklärt Heimbucher. Schließlich ist auch eine Genossenschaft den gegenwärtigen Marktmechanismen (steigenden Zinsen oder Baupreisen) ausgesetzt. Hinzukämen höhere ökologische Standards sowie Anforderungen an Lebens- und Wohnraum. Das erfordert einerseits mehr Investitionen, andererseits gehe es darum, weiterhin die Mieten zu dämpfen: „Dieser Spagat wird immer schwieriger“, so Heimbucher, „diese Realität erwischt uns eiskalt“. Es ist nicht die erste Krise, mit der die Genossenschaft in ihrer 120-jährigen Geschichte umzugehen lernen musste.
GELD ODER LEBEN - Aktiv im Thema
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arbeiterkind.de | Die gemeinnützige GmbH Arbeiterkind ermutigt bundesweit „Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung dazu, als Erste in ihrer Familie zu studieren“.
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