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Hervé Le Corre
Foto: © Philippe Matsas

Stadt der Gewalt

06. Mai 2024

„Durch die dunkelste Nacht“ von Hervé Le Corre – Textwelten 05/24

„Mittlerweile empfindet er seit Monaten nur noch traurige Wut. Einen unbeschreiblichen Zorn.“ Die Gefühlslage des Kriminalkommandanten Jourdan, der seinen Dienst in Bordeaux versieht, ist uns wohlbekannt. Immer häufiger flackern die Feuer des Zorns in unserer Gesellschaft auf. Die Ohnmacht über einer Lebenssituation, in der sich wenig verändern lässt, wirkt erdrückend. Jourdan steht sozusagen an der Front. Die Gewalt spielt in Hervé Le Corres Roman „Durch die dunkelste Nacht“ eine zentrale Rolle. Eine Gewalt vor allem gegen Frauen, wenn auch nicht immer als Opfer. Mitunter werden sie zu Täterinnen, wo sich die Gewalt gegen Kinder richtet.

Dunkel ist die Welt in diesem Roman nicht nur bei Nacht, auch am Tag lauern Unheil und Brutalität in den Vorstädten. So lebt Louise, alleinerziehende Mutter eines achtjährigen Jungen, in steter Furcht vor dem Erscheinen ihres ehemaligen Lebensgefährten, der stets einen Grund findet, auf sie einzuschlagen. Währenddessen gleitet ein Serienmörder unauffällig durch den sozialen Alltag der Stadt, in der ihm der Zufall seine weiblichen Opfer zuspielt. Aus den unterschiedlichen Perspektiven dieser drei Personen blickt man auf Bordeaux, dessen Szenerie zu einem universellen Dschungel zeitgenössischer Urbanität wird.

Dass Hervé Le Corre in Frankreich reichlich mit Literaturpreisen bedacht wird, wundert nicht. Die drei Leben erzählen sich wie ein Film, der in unterschiedlichen Rhythmen gedreht wurde. Gemeinsam ist ihnen die vernutzte, gleichgültige Stadtlandschaft, in der alles eine Schäbigkeit annimmt. Nicht zuletzt die Sexualität wird zu einer Währung, die allein dem Prinzip der Macht folgt. Die vorsichtigen Annäherungen zwischen Jourdan und Louise nach einem der üblichen Ausraster ihres Ex nehmen sich da wie ein zartes Pflänzchen der Hoffnung aus. Da die knackige Handlungsführung Hervé Le Corre doch ziemlich in Anspruch nimmt, kommen die leiseren Töne etwas zu kurz. Feinstrick ist nicht seine Sache, dafür treibt er die Ereignisse aber zügig voran. Und das Finale kommt so überraschend daher, dass man es gleich nochmal nachschlägt. Gleichwohl besitzt dieser Roman etwas von der ungestümen Faszination eines prasselnden nächtlichen Regens. 

Hervé Le Corre: Durch die dunkelste Nacht | A. d. Franz. v. Anne Thomas | Suhrkamp Verlag | 340 S. | 17 €

Thomas Linden

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