Was ist eigentlich der Sound des Ruhrgebiets? Die leicht heiseren Stimmen der Fußballfans? Oder der knödelige Gesang von Herbie, dessen 2010-Hymne irgendwie in der Leere verhallt, weil sie harte Konkurrenz bekommen hat? „Glück auf Ruhrgebiet“ heißt diese, eingespielt hat sie das Essener Spardosen-Terzett, und sie ist im hymnentauglichen Strophe-Refrain-Format mit hohem Identifikationsfaktor gehalten. So bietet sie Gelegenheit, im Chor der aus Funk und Fernsehen bekannten Pilsken-Kumpel-Romantik zu frönen. Dass das Lied ein wenig melancholisch stimmt, mag seinen Grund haben: 2010 dürfte das letzte Mal sein, dass das Ruhrgebiet im Modus der Rückblende als Emotionsspender der Republik bundesweit strahlen kann. Im nächsten Jahr ist die Schonzeit dann vorbei. Worüber sich die Region eigentlich keine Sorgen machen muss. Wie man es von einer Gegend mit einem hohen Anteil an technischer Intelligenz erwartet, mag das Ruhrgebiet schon seit Ewigkeiten elektronische Musik. Wer will, kann hier an jedem Wochenende gut tanzen gehen, egal ob auf den „I love my Pony“-Parties in Dortmund, im Essener Goethebunker oder auf der an wechselnden Orten stattfinden „Beatplantation.“ Die meisten dieser avancierten Partys haben gemeinsam, dass sie das Resultat harter Aufbauarbeit sind – ein Ruhrgebiets-Klischee, aber leider stimmt es. Oder zum Glück, wenn man so will. Denn all die Jahre des semi-legalen Auflegens auf den reichlich vorhandenen Brachflächen des Ruhrgebiets haben ihre Spuren ins Jetzt eingeschrieben. Die Atmosphäre bleibt angenehm unprätentiös und dennoch experimentierfreudig, die Preise sind moderat, und man kann den ganzen Abend mit interessanten Gesprächen füllen, ohne auch nur einmal aus dem Genuss des Grooves gerissen zu werden. Auf diese Weise wird ein altes Versprechen „alternativer“ Kultur in der Gegenwart aktualisiert: emanzipatorischer Vorsprung, diesmal halt durch Technik. Nur eine Sache fehlt noch. Elektronikproduktionen aus Köln oder Berlin lassen sich nach wenigen Loops erkennen – die Ruhrstadt hat bis heute keinen Signature Sound.
Vielleicht liegt dies an einem Mangel an ikonischen Räumen. Nichts spiegelt die Architektur des Berliner Clubs Berghain besser als der düstere Minimal- Techno des dort beheimateten Ostgut-Labels. Auf die einzigartige Ausgeherfahrung der Ruhrstadt stößt man jedoch erst, wenn die Party schon vorbei ist. Es ist die nicht enden wollende Heimfahrt auf der Schiene oder der Autobahn, wenn die Reste verflogener Euphorie sehnsüchtig nachhallen. Zumindest für diese Momente existiert ein passender Soundtrack, produziert hat ihn der Dortmunder Thomas Goertz unter seinem Künstlernamen Ghostleigh. Auf bisher sechs 12“s lässt er schleppende Dubstep-Beats auf 140 BPM gedämpft unter weit zerfließenden Synthesizerflächen hervorhallen und erzeugt so eine Sehnsucht, die nur hier vorkommt und trotzdem auf einen anderen Ort verweist.
Das Spardosen-Terzett sucht Chorsänger:
am 15.4. um 13 Uhr an der FH Gelsenkirchen und
am 30.4. im Bochumer Bermudadreieck
„I love my Pony“ am 24.4. im Inside-Club/Dortmund
„Beatplantation“ am 24.4. im Druckluft/Oberhausen
Ghostleigh: „Whirlwind“ 12“ erscheint auf Ghostleigh Dubz
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