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Fatih Akin mit 35mm-Kamera bei den Dreharbeiten zu „The Cut“
Foto: Pandora Film

„Ich will ja keinen Propagandafilm machen“

25. September 2014

Regisseur Fatih Akin über „The Cut“, Gewaltdarstellung und Kino als Katharsis – Gespräch zum Film 10/14

Fatih Akin, Jahrgang 1973, ist in Hamburg als Sohn türkischer Einwanderer aufgewachsen. Nach einem Studium an der Hochschule für Bildende Künste hat er seit 1998 zehn Kinofilme gedreht, darunter „Im Juli“ und „Solino“. „The Cut“ ist nach „Gegen die Wand“ und „Auf der anderen Seite“ der dritte Teil seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie und sein erster englischsprachiger Film.

engels: Herr Akin, „The Cut“ erzählt von dem Armenier Nazaret, der in den Wirren des Ersten Weltkriegs und des Völkermords in Armenien eine Odyssee durchlebt. Sie erzählen die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive des Protagonisten und lassen größere historische und politische Hintergründe außen vor. Warum haben sie sich für diese Perspektive entschieden?
Fatih Akin: Gerade weil es ein so komplexer, unüberschaubarer Zusammenhang ist, wollte ich das streng aus der Perspektive eines Einzelschicksals erzählen, möglichst viele Augenzeugenberichte, Ereignisse und historische Zusammenhänge in den Blickwinkel dieses Einzelschicksals legen und auch mit der Kamera so umgehen, dass immer diese Person die Dinge sieht. Das ist eine filmische Regel, für die ich mich bei dem Film entschieden habe. Der Film hat ja nie den Anspruch erhoben, ein Film über den Völkermord zu sein. Er spielt vor diesem historischen Hintergrund ... wenn man so will, ist der Völkermord der erste Akt. Ich will ja keinen Propagandafilm oder Dokumentarfilm machen, ich will eine Geschichte erzählen. Wenn das den Zuschauer interessiert hat, wenn ihn das mitgenommen hat, dann geht er nach 138 Minuten aus dem Kino und informiert sich vielleicht darüber, geht in eine Bücherei, geht auf Wikipedia, besorgt sich andere Filme zum Thema, vielleicht einen Dokumentarfilm wie Eric Friedlers „Aghet“. Mein Film kann – wenn überhaupt politisch gedacht – eine Initialzündung für den Zuschauer sein, sich weiter zu informieren. Aber letztlich ist es eine subjektive Geschichte.

Dass Nazaret, gespielt von Tahar Rahim, auch noch Stumm ist, war sicher eine erzählerische Herausforderung ...
Ich habe mich früh entschieden, Ästhetik und Genrekonventionen des Western zu verwenden. Ich habe dann eine ganze Menge Filme gesehen, und die, die mir am besten gefallen haben, sind die italienischen Western, die Spaghettiwestern von Sergio Leone und anderen. Da wird wenig gesprochen. Es gibt von Sergio Corbucci den Film „Il grande silencio“ (dt. „Leichen pflastern seinen Weg“, Anm. Red.) mit Kinski in einer Nebenrolle. Da ist der Held stumm. Dass man sich so auf das Visuelle verlassen muss, entwickelt einen richtigen Sog. Ich glaube, ich kann ganz gut Dinge mit Bildern erzählen. Jedenfalls macht mir das Spaß und ich habe das gar nicht als Handicap, sondern im Gegenteil als Vorteil empfunden.

„The Cut“ erinnert nicht nur an Western, sondern auch an das Roadmovie. Es gibt aber auch märchenhafte Momente. War es klar, dass sie einen Genrefilm machen wollen?
Auf jeden Fall. Einer der Beweggründe für den Film war, dass das Thema des Völkermords nicht mehr so tabuisiert ist. Inzwischen habe ich viel darüber gelesen und begriffen, dass der Völkermord für die Armenier aber nur zur Hälfte aus dem Morden besteht und zur anderen Hälfte daraus, in alle Welt zerstreut zu werden. Ich fand es interessant, dass der Film in der Mitte seinen Rhythmus, seine Erzählform und auch seinen Inhalt wechselt. Das war ein erzählerisches Experiment, für das ich einen Rahmen brauchte, der mich einschränkt, damit das nicht ausufert. Und der Rahmen war eben die Rhetorik des Westerns, zu der z.B. auch die Eroberung Amerikas gehört. Letztlich ist der Film auch ein Auswanderungsfilm. Einwanderung und Auswanderung ist immer ein Thema in meinen Filmen gewesen. Da das nun in den 20er Jahren spielt, mache ich das nicht ultrarealistisch, sondern ein bisschen naiv wie das Kino meiner Kindheit und Jugend, das mich immer auf eine Reise geschickt und zum Träumen gebracht hat. Bei meiner Annäherungen an den Völkermord habe ich festgestellt, dass viele Darstellungen davon naiv sind. Edgar Hilsenraths Roman heißt „Das Märchen vom letzten Gedanken“, und von Franz Werfel gibt es zum Thema „Die vierzig Tage des Musa Dagh“: Das klingt biblisch, es ist märchenhaft aufgeladen. Auch Bilder, die in Armenien im Völkerkundemuseum hängen, haben diese Naivität. Vielleicht brauchen das die Protagonisten, um sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen ...

Sie sagten, dass der Film in der Mitte seinen Rhythmus wechselt. Das geschieht ziemlich genau mit der Szene, in der Nazaret Charlie Chaplins „The Kid“ sieht und kurz hintereinander erst lacht, dann weint. Eine berührende Liebeserklärung an das Kino. Was bedeutet Ihnen diese Szene?
Ich habe versucht, „The Cut“ wie meine anderen Filme so persönlich wie möglich zu gestalten. Wissen Sie: Ich kann nicht sehr gut weinen. Meine Augen bleiben trocken wie Sand. Dann gehe ich ins Kino – manchmal mit meinen Kindern – zu so was wie „Toy Story“ oder „Wall-E“, und die Suppe läuft und läuft ... ich kann mich gar nicht mehr halten. Für mich ist Kino immer eine Form der Katharsis. Diese persönliche Eigenschaft wollte ich in der Szene meinem Helden geben.

Sie haben in einem Interview Martin Scorsese, mit dessen langjährigem Drehbuchautor Mardik Martin sie für „The Cut“ zusammengearbeitet haben, ihren cinematografischen Vater genannt. In Hinsicht auf Gewaltdarstellung folgen sie seinem Vorbild nicht: Für einen Film, der einen Völkermord thematisiert, gibt es erstaunlich wenige Gewaltbilder. Wie ist ihr Verhältnis zu Gewalt im Kino?
Es kommt darauf an, was es für ein Film ist: Tarantino hat seine Form von Gewalt und Scorsese hat seine. Weil das Thema von „The Cut“ emotional stark aufgeladen ist, war es mir wichtig, in der Gewaltdarstellung nicht die Würde derer zu verletzen, denen Gewalt angetan wird. Da wird zwar gezeigt, wie jemandem die Gedärme aufgeschnitten werden, um nach Gold zu suchen. Das passiert aber nicht im Vordergrund, und das war eine bewusste Entscheidung. Die Gewalt ist da, aber sie ist nicht voyeuristisch und nicht spekulativ. Und sie ist vor allem nicht dafür da, die Grenzen von Gewalt im Kino auszuloten. Die Gewalt ist notwendig, aber ich reduziere sie auf diese Notwendigkeit.

INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER

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