Ein Märchen aus alter Zeit: Eine junge Musikerin, nennen wir sie Sabine Müller, bewirbt sich bei einem bedeutenden deutschen Orchester in Berlin auf eine Solostelle für Klarinette. Seit einhundert Jahren hat in diesem Orchester keine Frau Irgendetwas besetzt, auf keinen Fall aber eine solistische Funktion erfüllt. Der lebenslang gebuchte Chefdirigent, nennen wir ihn Herbert von Karamalz, will die Frau in der angestrebten Position verpflichten. Das Männerorchester möchte keine Frau. Der Intendant mischt sich ein. Männer streiten unter sich, Bauernopfer fallen. Schließlich flieht die junge Musikerin.
So ähnlich hat sich die Geschichte in viele Köpfe der klassischen Musikfreunde eingeschrieben. Eigentlich war alles anders. Es gab anfangs der 1980 bereits ein weibliches Orchestermitglied in der Streichergruppe. Angeblich passte die helle Tönung des Klarinettenklangs der beim Vorspiel bestplatzierten Bewerberin, getestet auf einer Amerika-Tournee, nicht in den dunkel timbrierten Traditionsklang des Orchesters. So hörten das die Musiker. Dirigent Karajan setzte sie durch, sie wurde „Karajans Klarinette“. Nach einem Jahr nahm sie ihr Instrument, gab den Kollegen einen Schaumwein aus und kümmerte sich darum, der Klarinette als konzertantes Solisten-Instrument einen angemessenen Platz im Konzertleben zu verschaffen.
Über ihre Berliner Zeit redet Sabine Müller, nennen wir sie jetzt Meyer, kein Wort und winkt auf Nachfrage im Interview sofort ab. Obwohl: Diese ungeliebte Geschichte brachte wenigstens einen großen Vorteil. Sabine Meyer wurde plötzlich und nachhaltig berühmt – das hat sich bis in unsere Tage nicht geändert.
Heute regiert allerdings ihr sehr guter Ruf als Solistin und ihr Einsatz für unterbelichtete Literatur und vergessene Werke die Vita. Aktuell ist sogar eine erste Biografie der vielfach ausgezeichneten Holzbläserin erschienen.
Ihre Ambition im Bochumer Konzert gilt dem Klarinettenwerk von Carl Maria von Weber, einer ganz wichtigen und verdienstvollen Erscheinung für die Bläser. Der Erfinder der romantischen Oper (Freischütz) war selbst ein absoluter Bühnenmensch und großartiger Orchestererzieher. Sein Lieblings-Soloinstrument hieß Klarinette, die Klangvorstellung verband sich mit dem süßen Ton des Holzbläsers Heinrich Bärmann, der berühmteste Klarinettenspieler zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Auch für Sabine Meyer haben rund zehn zeitgenössische Komponisten Werke geschaffen und ihr gewidmet.
Gerahmt wird das Webersche Klarinettenkonzert Nr. 1 durch eine sagenhafte sinfonische Dichtung von Jean Sibelius und die Sinfonie Nr. 5 von Ralph Vaughan Williams. Letztere schrieb der in Deutschland wenig beachtete Komponist während des zweiten Weltkriegs: Es ist ein pastoraler Rückzug von der Welt, sensationell orchestriert, ein Klangbad nach englischem Ohrenmaß: satte Bläserakkorde, süße Streicherseufzer, monumentale Schönheit.
Sabine Meyer (Klarinette), Bochumer Symphoniker, Nicholas Carter (Dirigent) | So 27.5. 11 Uhr | Anneliese Brost Musikforum Ruhr | www.bochumer-symphoniker.de | ausverkauft!
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