Didi Hallervorden in den Dolomiten („Honig im Kopf“), Elyas M'Barek in Thailand („Fack ju Göhte 2“) oder Matthias Schweighöfer in Südafrika („Der geilste Tag“): Wenn in den letzten Monaten von Deutschen Komödien die Rede war, sah es oft so aus, als müsste dazu fast zwangsläufig irgendein prominenter Name durch Tourismusverband-geförderte Postkartenlandschaften reisen.
Dabei liegt das Schräge doch oft so nah.
In diesem Sinne verfolgte Regisseur Max Zähle, vor vier Jahren gefeierter Oscar-Nominee für seinen deutsch-indischen Kurzfilm Raju, womöglich die Mission, ein Gegengewicht zu weiten Reisen und austauschbaren Geschichten zu schaffen: Für sein Langfilm-Debüt „Schrotten!“ wählte Zähle nicht nur seine Heimatstadt Celle als Kulisse, sondern setzte auch auf Autobiographisches: Zähles bester Schulkumpel war der Sohn eines Schrotthändlers.
„Schrotten!“, das Max Zähle jetzt gemeinsam mit Hauptdarsteller Lukasz Gregorowicz im Wuppertaler Rex präsentierte, ist so eine Hommage an den rauen Charme der Schrottplätze geworden. Da muss man gar nicht unbedingt die TV-Schrottkönige Ludolfs kennen, um zu erahnen: Hier geht es in ein Biotop der Originale. Dass hier gerade der große Coup geplant wird, ist da fast schon naheliegend.
„Schrotten!“ das neue „Bang Boom Bang“? Als der Film im Rex beginnt, erinnert einiges an die legendäre Ruhrpottklamotte. Skurrile Typen zum Beispiel. Die bietet der Film en masse. Alles ist jedoch etwas ruhiger als bei dem westfälischen Gaunerkomödienklassiker. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil. Denn so haben die Figuren Zeit sich zu entwickeln. Man sieht einen großartigen Frederick Lau („Victoria“) als Schrottplatz-Erbe Letscho Talhammer, der einfach wie kein zweiter diese Zwei-Wörter-Oberasi-Trotzdem-Supercool-Sätze servieren kann: „Kämpfen, Scheiße.“ Und seinen Bruder Mirco, eher unfreiwilliger Versicherungs-Schnösel, und nur scheinbar das genaue Gegenteil, dem Lucas Gregorowicz („Lammbock“) ein nicht minder prägnantes Gesicht samt rhetorischer Retourkutsche verleiht: „Ihr bornierten Kackaffen“.
„Lieber Tod als Sklave“ das Motto, das sich die Schrottplatz-Originale auf die Fahnen geschrieben haben, bekommt in einer Welt, in der jeder jeden bescheißt („die Stadt, der Unternehmer Kercher das ist doch alles dasselbe“) dann schnell eine Bedeutung. Und so schweißt der Schrottplatz auch aus den härtesten Ego-Kämpfern irgendwann eine verschworene Gemeinschaft zusammen.
Die Kinozuschauer sehen dazu: Eine Schrottplatz-Idylle samt bunten Containern und dreiradfahrenden Kindern. „So etwas haben wir im Original gar nicht gefunden“, erzählt Regisseur Max Zähle beim anschließenden Filmgespräch. Und so holte sich Zähle kompetente Unterstützung an Bord: Gemeinsam mit der Celler Schrottplatz-Legende Kalli Struck baute das Filmteam einen Traumschrottplatz. Halb Kindheitserinnerung, halb Utopie. Zum Dank bekam der echte Schrottplatz-König dadurch sogar die Nebenrolle des Schrottplatz-Vaters im Film zugesprochen.
Noch ein paar weitere Details zum Dreh erfahren die Zuschauer an diesem Abend. Zum Beispiel, dass der Eisenbahnraub im Film tatsächlich so funktionieren könnte, wie die Eisenbahnexperten am Set bestätigten. Auch wenn die Requisiteure im Film dann doch statt der Eisenbahnschwellen lieber Pappmaché verwendeten. Oder, dass bei der ausverkauften Kinopremiere in Celle zur Feier des Tages live ein Auto verschrottet wurde.
Vor allem aber erzählen Gregorowicz und Zähle an diesem Abend davon, wieviel Herzblut in den Film geflossen ist. „Ich empfehle selten Filme, aber hier tue ich das sehr gerne“, sagt Gregorowicz, der dann gleich noch bestätigt, dass bald tatsächlich die Fortsetzung der legendären (und inzwischen schon 16 Jahre alten!) Kiffer-Komödie Lammbock samt aller Beteiligten ansteht (Gregorowicz: „Bei „Schrotten!“ dauert es hoffentlich nicht so lange bis zu Teil 2“). Am Ende gibt es dann noch ein großes Lob von Max Zähle: „Wir fahren ja gerade durch viele Filmtheater. Aber ihr habt hier in Wuppertal wirklich das schönste Kino.“
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