Sibylle Berg gehört zu den umtriebigsten Schriftsteller:innen im deutschsprachigen Raum. Ihre Spiegel-Kolumnen sind berüchtigt und ihre Bücher erklimmen die Bestseller-Listen – zuletzt „GRM – Brainfuck“, ihr bis dato erfolgreichster Roman. Darin zerlegte sie die hoffnungslos stimmenden Zustände unserer neoliberalen Absurdität. Ähnliches hat sie nun mit „RCE: #RemoteCodeExecution.“ vor, der umfangreichen Fortsetzung ihrer literarischen Weltrettungskampagne.
Der Einzelne ist machtlos. Der Kapitalismus scheint alternativlos. Wenige sind reich. Viele arm. Der Konsum schluckt jeden Sinn. Die fortschreitende Digitalisierung hat auch die Vereinzelung vorangetrieben, am Horizont schimmern Marc Zuckerbergs Metaverse, die Inflation, diverse Seuchen, Hungersnöte, Diktatoren (männlich) sowie rasant wachsende Müllberge, Kriege, Ausbeutung, die Klimakrise und unzählige andere Desaster. Es ist die schlimmste aller Zeiten, alles eigentlich wie immer, nur in superextrem. Doch fünf Hacker-Freund:innen wollen die abwärtsrollende Erdkugel mit einem Keil bremsen: „Der Versuch, die Welt zu retten, erschien logisch, denn es war dumm, keinen letzten Versuch zu unternehmen, aufzuhalten, was ihrer und der Meinung Tausender ExpertInnen zufolge in Katastrophen enden würde.“ Die sogenannte Handlung, lose zusammengehalten von der Geschichte um ebendiese fünf Hacker, arbeitet sich auf ein „Ereignis“ zu, das alles zum Besseren kehren soll.
„RCE“ ist wie „GRM“ ein Kraftakt, in dem Frau Berg ihre typisch treffsicheren und hochinformierten Gegenwartsanalysen serviert. Kaum jemand beherrscht es so bravourös, die zum Alltag gewordenen Perversionen und Missstände zu entlarven. Das ist auch hier erhellend und von abgründiger Komik durchdrungen. Doch was im Vorgängerroman originell daherkam, hat sich dort als Konzept etwas erschöpft. „RCE“ liest sich mit seinen knapp 700 Seiten mehr wie eine Wiederholung als ein Nachfolger. Und auch wenn es passagenweise hochunterhaltsam hergeht, wirkt der pausenlos beschriebene Sch***zustand unserer Welt etwas abwechslungslos und führt daher immer wieder zu leichten Ermüdungserscheinungen. Eine Empfehlung geht daher an die „Die Hard“-Fans oder Neueinsteiger raus.
Sibylle Berg: RCE: #RemoteCodeExecution. | Kiepenheuer & Witsch Verlag | 704 S. | geb. 26 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24
Silvesternacht mit Frankenstein
„Frankenstein Unlimited“ in Remscheid
Erinnerungen an einen Schulfreund
Michael Zeller liest im Café Podest
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24
Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24
Förderung von Sprechfreude
„Das kleine Häwas“ von Saskia Niechzial, Patricia Pomnitz und Marielle Rusche – Vorlesung 10/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Krawall und Remmidemmi
Begehren und Aufbegehren im Comic – ComicKultur 10/24
Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24