Letztens saß ich im Zug neben einer Studentin, etwa Mitte zwanzig. Mit etwas hektischen Bewegungen jonglierte sie Kaffee, Brötchen und eine Zeitung und führte gleichzeitig ein Gespräch mit ihrem Gegenüber: „Wenn uns nichts einfällt, drehen wir das Thema eben auf 'Schlimm, schlimm, Wirtschaftskrise.‘“ Ja, richtig geraten. Sie war Journalistin. Und die – schlimm, schlimm – Krise, die ihr Thema war, ist nicht die ihrer eigenen Branche, die leider meistens die Falschen trifft. Aber drehen wir das Thema jetzt mal auf Erfolgsgeschichte und reden über ein Magazin, das dieses Jahr seinen zwanzigsten Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch, „Visions“!
Michael Lohrmann, ein als Postbote getarnter Heavy Metal-Fan aus der schönen Kleinstadt Werl, verkaufte die ersten Ausgaben seines Heftes auf Konzerte, irgendwann ging es an den Kiosk, und ehe man sich versah, hatte man nebenbei den Klang einer ganzen Region geprägt. Wer den Sound des Ruhrgebiets sucht, der wird im Inhaltsverzeichnis der „Visions“ fündig: sehr rockig, manchmal in Richtung Indie, aber niemals zu verkopft, gerne auch in Richtung „HardMetalEmo-Core“, aber niemals ohne Bindestrich. Und genau wie das Ruhrgebiet wird die „Visions“ notorisch unterschätzt. Denn genau auf diesen Kanon werden sich so ziemlich alle einigermaßen gebildeten Popfans zwischen 20 und 40 zur Not einigen können. Für seine Leser ist die „Visions“ die Verkörperung des Mainstreams der gefühlten Minderheiten, die sich so als „alternativ“ stilisieren konnten, ohne dafür jemals Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Denn wie schnell man mit einem etwas ausgeprägteren Musikinteresse in der Prekarität landen kann, sieht man an „ByteFM“. Das beste Musikradio der Republik ist weiterhin nur im Internet zu hören und auf die unbezahlte Arbeit seiner Moderatoren angewiesen, um überhaupt senden zu können. Seine Existenz verdankt es einer weitaus größeren Krise, in die der öffentlich-rechtliche Rundfunk dank seines Flirts mit den Konzepten des Formatradios geraten ist. Dort hat man in den letzten Jahren Sendungen, die auf dem subjektiven Geschmack und der Musikkenntnis von Moderatoren basierten, an den Rand gedrängt und auf Formate gesetzt, die auf dem ehernen Gesetz der „Durchhörbarkeit“ basieren. Und nicht wenige der geschassten Moderatoren haben bei „ByteFM“ eine neue Heimat gefunden. Schön, dass die Ruhr.2010 GmbH sich entschlossen hat, „ByteFM“ ein Studio in Bochum einzurichten und so zumindest als Nebeneffekt einen öffentlichen Kulturauftrag erfüllt, der bei den großen Sendeanstalten zunehmend in den Hintergrund gerät. Womit wir das Thema gleich noch einmal gedreht hätten.
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