Seine Sympathien hat sich dieser Giovanni wahrlich schnell verspielt. Mit brutaler Gewalt schleudert er den alten Komtur gegen eine scharfkantige Marmorsäule. Das Blut spritzt in so hohem Bogen, dass das Publikum selbst in der letzten Reihe noch zusammenzuckt. Mit blutüberströmtem eingeschlagenen Schädel stirbt der Alte, während sich der Mörder aus dem Staub macht. Es ist ein waschechter Krimi, den Regisseur und Intendant Norbert Hilchenbach seinem Publikum zeigen möchte. Nach knapp neun Jahren bringt er wieder einen „Don Giovanni“ auf die Hagener Opernbühne und macht darin früh klar, dass sein Protagonist nicht dem gängigen Bild des charmanten Schlawiners entspricht, dem der Todschlag am alten Edelmann selber als tragisches Unglück widerfährt. Hilchenbachs Giovanni ist ein Egoist, der keine Skrupel erkennen lässt und buchstäblich über Leichen geht. Schon bald hat er die Privatermittler Ottavio und Anna auf den Fersen, die auf Rache sinnen.
Die Voraussetzungen stimmen zunächst für „die rasanteste Kriminalgeschichte der Opernliteratur“, die Hilchenbach seinem Publikum verspricht. Doch alsbald geht der Regie die Puste aus. Es fehlt an Ideen, den Ansatz konsequent weiterzuspinnen. Stattdessen steckt der Regisseur sein Ensemble in 50er-Jahre-Garderobe, stellt es in eine Kulisse, die allein aus zwei beweglichen Wänden in dunklem Marmor-Look (Bühne: Jan Bammes) besteht, und vertraut auf die Spielfreudigkeit seiner Darsteller. Für volle drei Stunden Aufführungsdauer ist das zu wenig, auch wenn das Vertrauen ins Ensemble durchaus berechtigt ist. Rainer Zaun ist als Leporello ein verlässlicher Garant für Komik, lässt dabei auch überzeugend fiese Charakterzüge durchblicken. Maria Klier gelingt als Zerlina stimmlich herausragend der Balanceakt zwischen Naivität und Berechnung. Orlando Mason setzt als überaus groß gewachsener Masetto manch komische Pointe, bringt aber auch die Wut des gehörnten Bräutigams eindrücklich über die Rampe. Jeffery Krueger und Jaclyn Bermudez sind als Ottavio und Anna vor allem stimmlich eine glückliche Paarung; als Darsteller wirken sie manches Mal wie aufgestellt.
Raymond Ayers letztlich singt als Giovanni eine schöne Partie, bleibt als Darsteller aber eher oberflächlich. Sein Verführer ist vor allem cool und selbstgefällig, ein Trophäenjäger, der Listen führt und Fotos sammelt. Das Geheimnis seiner Verführungskraft bleibt ebenso im Dunkeln wie seine seelischen Abgründe. In die 50er Jahre passt er jedenfalls am allerwenigsten. Überhaupt stellt sich die Frage, wodurch der Zeitsprung motiviert ist. Regisseur Hilchenbach setzt wohl schlicht auf eine Mode, die beim Publikum immer gut ankommt. Generalmusikdirektor Florian Ludwig besinnt sich unterdessen auf die Aufführungspraxis der Mozartzeit – zwar nicht ganz konsequent im Instrumentarium, aber doch deutlich hörbar in Klangbild und Spielweise des Orchesters. Norbert Hilchenbach kann sich auf die Kraft der Musik bei diesem Giovanni verlassen. Seine schwache Regie macht dies allerdings nicht wett.
„Don Giovanni“ | R: Norbert Hilchenbach | Theater Hagen | 7./14.10. 15 Uhr, 11./27.10. 19 Uhr | www.theater-hagen.de
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