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Junges Glück unter schlechtem Stern: Lars-Oliver Rühl und Dorin Rahardja als Sam und Rose
Foto: Pedro Malinowski

Der Plattenbau als Tanzfläche

30. Oktober 2012

Gil Mehmert inszeniert Kurt Weills „Street Scene“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 11/12

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei da eine Sprengung gründlich schief gelaufen. Der graue Plattenbau liegt auf seiner Rückseite, ragt wie ein gestürzter Riese gerade noch im stumpfen Winkel gen Himmel. Im Großen und Ganzen aber scheint er intakt und schnell wird klar: Er ist noch bewohnt. Regisseur Gil Mehmert und Bühnenbildnerin Heike Meixner haben mit einem perspektivischen Kunstgriff die graue Vorstadtkulisse zur reizvollen Spiel- und Tanzfläche gemacht. Die Fassade wird zur bühnenfüllenden schiefen Ebene. Einen tieferen Sinn braucht man dahinter nicht zu suchen, für die Dynamik der Inszenierung von Kurt Weills „Street Scene“ am Gelsenkirchener Musiktheater aber wird der gefällte Betonklotz zu einem entscheidenden Ausgangspunkt. Mehmert, im Hauptberuf Musical-Professor, steht ein überaus agiles, zu großen Teilen noch sehr junges Ensemble zur Verfügung, zu dem einige seiner Studenten und Absolventen gehören. Und dieses Ensemble bewegt sich überaus gewandt, mitunter auch sehr gewagt, über Fensterkreuze und Balkongitter.

Die Frage, ob Weills Broadway-Stück von 1947 eher ein Musical ist oder eine „amerikanische Oper“, wie der Komponist es selber bezeichnete, wird eigentlich nur durch die Besetzung gespiegelt. Das Kernpersonal entstammt durchweg dem Opernensemble: Lars-Oliver Rühl singt den schwärmerischen Bücherwurm Sam, die jungen Sopranistin Dorin Rahardja die zentrale Partie der Rose. Noriko Ogawa-Yatake und Joachim Maaß geben ihre Eltern, welche am Ende für die tragische, opernhafte Wendung der Handlung verantwortlich sind. Die Rollen der Jugendlichen, die für Action auf der Bühne (Choreographien: Ramses Sigl) sorgen, sind unterdessen mit jungen Musicaldarstellern besetzt. Als besonders quirliges Energiebündel ragt aus ihnen die Studentin Marie Lumpp in gleich mehreren kleinen Rollen heraus.

Die Betonung des Musicalhaften hätte dem Stück durchaus gut getan, würde Mehmert nicht die ernsten opernhaften Aspekte so konsequent glatt bügeln. Kurt Weill hatte 1946 ein sozialkritisches Stück über das Underdog-Millieu von New York geschrieben, einem Multi-Kulti-Millieu, das so gar nicht friedlich funktionierte und von gnadenloser gegenseitiger Missgunst geprägt war. Mehmert aber macht daraus einen amüsant-operettenhaften Tratsch im Treppenhaus, der am Ende eher überraschend in einen Mord aus Eifersucht mündet. Auch GMD Heiko Förster gelingt es weder, Musical- und Opernsänger auf eine gemeinsame Linie zu bringen, geschweige denn einen eigenen musikalischen Stil für die „American Opera“ zu finden, als die das „Theater im Revier“ das Stück ausdrücklich anpreist. Bei der Premiere hat das Orchester anfangs noch mit klappernden Einsätzen zu kämpfen, findet schließlich aber doch zu einigem Drive und einem schönen Klangbild. Die Gelsenkirchener „Straßen-Szene“ ist vor allem bunt und deshalb auch keineswegs langweilig. Von Weills kritischem Biss aber lässt sie nichts mehr übrig. Schade!

„Street Scene“ von Kurt Weill | R: Gil Mehmert | MiR Gelsenkirchen | 10.11. 19.30 Uhr | 0209 409 72 00 | www.musiktheater-im-revier.de

Karsten Mark

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