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„Die Stadt der Blinden“
Foto: Suzanne Schwiertz

Die Blindheit des Menschen

24. November 2011

Uraufführung der Oper „Die Stadt der Blinden“ – Opernzeit 12/11

Seit einem Jahr gibt es die Kolumne Opernzeit, und anlässlich dieses Jubiläums möchte ich in eigener Sache berichten. Soeben wurde die Oper „Die Stadt der Blinden“ am Opernhaus Zürich mit großem Erfolg uraufgeführt – ein Beweis dafür, dass das zeitgenössische Musiktheater nicht nur eine kleine Klientel, sondern auch ein großes Publikum erreichen kann, wenn das Werk Existentielles für den Zuschauer erfahrbar macht. Die beiden Urheber dieses Werkes, Anno Schreier und Kerstin Maria Pöhler, stammen aus Aachen bzw. Köln.

Eine Epidemie befällt eine Stadt, die die Bewohner erblinden lässt. Die Symptome der Blindheit sind unerklärlich, da die Blinden den Verlust des Augenlichtes nicht als Dunkelheit, sondern als blendend „weißes Übel“ erleben.

Der Staat greift ein, und die Erblindeten werden in einer leerstehenden Irrenanstalt interniert, Soldaten riegeln das Gelände ab. In dieser hermetisch geschlossenen Welt herrschen die Gesetze eines gnadenlosen Überlebenskampfes: Die Stärkeren spalten sich ab und unterdrücken die Schwächeren. Unter den Blinden gibt es jedoch eine Sehende, die Frau des Augenarztes, die ihre Krankheit nur vortäuscht, um ihrem Mann beistehen zu können. Als die Situation unerträglich wird, begeht sie den Tyrannenmord. Die Irrenanstalt geht in Flammen auf, doch die ersehnte Befreiung bleibt aus: Auch außerhalb finden die Überlebenden apokalyptische Zustände vor. In diesem Szenario des Untergangs gibt es einen Hoffnungsschimmer. Ein alter Mann findet die Liebe einer jungen Frau, und die beiden nehmen einen verwaisten Jungen auf. Am Ende fällt die Blindheit ebenso plötzlich, wie sie gekommen war, von allen ab, ohne dass es eine Erklärung hierfür gibt: „Warum sind wir erblindet? / Das weiß ich nicht, vielleicht werden wir eines Tages den Grund dafür erfahren. / Soll ich dir sagen, was ich denke? / Ja. / Ich glaube nicht, dass wir erblindet sind. Ich glaube, wir sind blind, Blinde, die sehen. Blinde, die sehend nicht sehen."

José Saramago erhielt für diesen Roman 1998 den Nobelpreis für Literatur. Die Uraufführung der Oper erlebte er leider nicht mehr, da er zuvor einem Krebsleiden erlag. Das Libretto konzentriert sich auf die Situation des Ausgeliefertseins in der Irrenanstalt und die Rückgewinnung des Augenlichtes am Ende: Das Schicksal und die Traumatisierung der Frau des Augenarztes als einzig Sehende rückt in den Mittelpunkt. Anno Schreiers Musik findet expressive Klänge für die emotionale Verstörung, die Zerrissenheit und das Leiden der Eingeschlossenen – eine Musik, die direkt unter die Haut geht und den Zuschauer emotional an dem inneren Erleben der Figuren teilhaben lässt. Seine Musiksprache steht in der Tradition der klassischen Moderne – Anklänge an Mahler, Bartok, Britten oder Strawinsky sind nicht zu überhören – doch der Komponist entwickelt diese Bezugspunkte zu einem eigenen Idiom weiter.

Die Erblindung ist der Auslöser für den Zusammenbruch gesellschaftlicher Zusammenhänge, die Blindheit dient als Metapher für das Wegschauen und die Verweigerungshaltung einer tieferen Erkenntnis gegenüber – diese Thematik ist aktueller den je, und insofern ist diese Oper Ausdruck unserer Zeit.

KERSTIN MARIA PÖHLER

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