Der Name der Hauptfigur ist zum Inbegriff eines Frauenhelden geworden und damit zu einer Projektionsfläche erotischer Phantasien, die von sehnsüchtigem Verlangen bis hin zum abgrundtiefen Hass reichen. Don Giovanni sprengt die moralischen Normvorstellungen seiner Zeit und lässt die bestehende Ordnung ins Wanken geraten. Mozart und sein Librettist Da Ponte greifen auf einen äußerst populären und bühnenwirksamen Stoff zurück, der seinen Ursprung in dem religiösen Lehrstück „El burlador de Sevilla y Convidado de piedra“ von Tirso de Molina aus dem Jahr 1624 hat und seitdem viele Wandlungen bis hin zur Farce erfuhr. In der Bearbeitung von Mozart und Da Ponte ist Don Giovanni ein gesellschaftlicher Außenseiter: Als Aristokrat fühlt er sich weder dem adeligen Ehrenkodex verpflichtet, noch fügt er sich einer bürgerlichen Moralvorstellung. Er ist ein Libertin ohne Gewissen, der ständeübergreifend die junge Adelige ebenso begehrt wie das Bauernmädchen und nicht vor Gewalt zurückschreckt, um sein Ziel zu erreichen. Zugleich ist er ein Getriebener, der von Land zu Land, von Eroberung zu Eroberung hetzt, die sein Diener Leporello akribisch in einem Katalog festhält. Er sucht das flüchtige Abenteuer, jegliche Form von Bindung ist ihm zuwider und die in der Liebe Unerfahrenen, die Jungfrauen, sind für ihn besondere Trophäen.
Die Liebe ist eine erbarmungslose Jagd für Don Giovanni, doch der Jäger wird immer mehr zum Gejagten. Mozart und Da Ponte heroisieren den Erotomanen nicht, sondern erzählen in dem dramma giocoso, in der Abfolge von komischen und ernsten Szenen, seinen Untergang. Alle Liebesabenteuer Don Giovannis scheitern in dieser Oper: Nachts schleicht er sich maskiert in das Zimmer Donna Annas, sie setzt sich zur Wehr und in dem darauf entstehenden Tumult ermordet er ihren Vater, den Komtur. Donna Elvira, der Don Giovanni die Ehe versprochen hat, verfolgt ihn unerbittlich. Sie ist verschleiert, sofort macht er der vermeintlich Unbekannten den Hof. Als sie sich zu erkennen gibt, gelingt ihm im letzten Augenblick die Flucht. Auf einer Bauernhochzeit spannt er dem Bräutigam seine Braut aus und lädt sie auf sein Schloss ein. Sie geht auf sein Werben ein, doch ruft sie um Hilfe, als er sie nötigen will und er muss wieder fliehen. Bleibt nur noch die Kammerzofe Elvira, die er mit einem Ständchen erobern will. Er schreckt nicht davor zurück, mit seinem Diener Leporello die Kleider zu tauschen, während dieser in den Kleidern seines Herrn Elviras ungestilltes erotisches Verlangen befriedigen soll. Was Leporello gelingt bleibt Don Giovanni versagt, die Zofe bleibt ein Phantom, im letzten Augenblick rettet er sich vor seinen Verfolgern auf den nahen Friedhof, wo eine Stimme den lärmenden Frevler zur Ruhe mahnt. Übermütig lädt Don Giovanni die Statue des ermordeten Komturs zum Abendessen ein. Der steinerne Gast erscheint tatsächlich auf seinem Schloss und verlangt wie in einem göttlichen Strafgericht Reue von dem Sünder, die Don Giovanni verweigert und stattdessen lieber zur Hölle fährt.
Die Zurückbleibenden ziehen in einem groß angelegten Schlussensemble die Moral aus der Geschichte: „Dies ist das Ende dessen, der Schlechtes tut! Und das Ende der Schändlichen gleicht ihrem Leben!“ Sie sind ihn endlich los, den erotischen Anarchisten, der ihre geordneten Verhältnisse zu zerstören drohte. Doch seine Abgründe sind auch ihre Abgründe, sonst hätten sie sich wohl kaum auf ihn eingelassen. Sie sagen sich von ihm los und entsagen zugleich dem, wonach sie sich so sehr sehnen, dem Eros. Der bestrafte Wüstling, so der Untertitel der Oper, wird am Ende als mahnendes Beispiel ausgestellt und der Sexus verdammt. Das Genre der opera buffa verlangt nach einem versöhnlichen Ende, dem lieto fine, das Mozart ein Jahr nach der Uraufführung 1787 in Prag, in der sogenannten Wiener Fassung, jedoch wegließ. Die Rückkehr in die geordneten Verhältnisse erscheint als ein Kompromiss, um überleben zu können. Die Frauen haben die Macht des Eros in sich gespürt, die sie zumindest im Ansatz dazu verführte, zu Neuem aufzubrechen und aus den alten Verhältnissen auszubrechen. Die hintergangenen Männer haben die zerstörerische Kraft des Eros am eigenen Leib erfahren, die sie als Mann und Partner infrage stellt. Alle gehen als Gezeichnete aus dem Geschehen, die Verstörung bleibt.
„Don Giovanni“ von Wolfgang A. Mozart | Musikalische Leitung: Friedemann Layer | Premiere: Fr 7.12 19.30 Uhr | www.rheinoper.de
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