Den großen Knall, der alles ändert, hatte niemand erwartet. Eher stellte sich die Frage, ob und wie überzeugend die neue Leitung der Essener Aalto-Oper wohl an die Erfolge der Ära Soltesz anknüpfen kann. Zwei Männer sind dem berüchtigten, aber höchst erfolgreichen Pult-Despoten und Intendanten Stefan Soltesz nach 16 Jahren gefolgt: Tomáš Netopil, Ex-Musikdirektor des Prager Nationaltheaters, als Generalmusikdirektor und der holländische Kulturmanager Hein Mulders als Intendant, welcher neben der Oper nun auch noch die Philharmonie leitet. Die Aufgabenverteilung lässt eine Verschiebung der Prioritäten vermuten. Und in der Tat scheint die erste Premiere nach Soltesz – Verdis „Macbeth“ – dies zu bestätigen. Während Netopil auf dem soliden musikalischen Fundament seines Vorgängers aufzubauen weiß und überzeugend eigene Akzente setzt, hat Intendant Mulders zur Premiere einen jungen Regisseur engagiert, der eine optisch ansprechende und keinerlei Anstoß erregende Inszenierung zeigt – ein allzu reibungsloser Übergang.
Allein die Auswahl des Werks spricht Bände. Das Verdi-Jahr neigt sich stark dem Ende entgegen und wurde landauf, landab ordentlich ausgekostet. Zum Glück setzten die anderen Häuser der Region – im Bemühen, nicht immer den gleichen Best-of-Verdi-Kanon abzuspulen – allesamt auf die Schiller-Adaption „Don Carlo“. So kann Essen mit Macbeth tatsächlich noch eine Lücke füllen. Für gelungene Verdi-Aufführungen ist Essen seit den späten 1980er Jahren bekannt. Auf dem Regiestuhl saß meistens Dietrich Hilsdorf, ein ausgesprochen politischer Kopf mit Hang zur Provokation – auch wenn der zuletzt einer gewissen Altersmilde gewichen war. Die letzte Saison hatte Hilsdorf, 65, mit „I masnadieri“ beschlossen – sicher nicht seine stärkste Arbeit, aber doch eine mit klarer Aussage. David Hermann ist erst 36, aber längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Der Senkrechtstarter hat schon an einer ganzen Reihe renommierter Häuser inszeniert.
Wenn Intendant Mulders sich mit ihm jugendlichen Elan für die Essener Oper versprochen hat, ist die Rechnung nicht aufgegangen. Modern ist allein die Verpackung dieser Inszenierung. Die Regie bindet Videos (von Martin Eidenberger) ein und lässt Ausstatter Christof Hetzer ein wenig in die Effektkiste greifen. Das alles ist hübsch anzuschauen, tut nicht weiter weh und hat auch oft keine zwingende Logik – etwa wenn der mittelalterlich gewandete Macbeth unbemerkt durch eine feine Picknick-Gesellschaft der 1930er Jahre stapft. Die Bilder von Christof Hetzer sind stimmungsvoll, szenisch hingegen passiert nicht allzu viel.
Die Musik immerhin versöhnt, vor allem das Orchester und ein ausgezeichnet singender Chor (Leitung: Alexander Eberle) sind das Anhören wert. Die Solistenriege mit Tommi Hakala als Macbeth, Gun-Brit Barkmin als seine Lady, Liang Li als Banquo und Alexey Sayapin als Macduff meistern ihre Partien solide und überwiegend souverän – aber ohne wirklich herausragende Höhepunkte, wie man sie zu einer solch exponierten Produktion erhofft hätte.
„Macbeth“ | 4.12. 19:30 Uhr | 0201 812 22 00
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