Beethovens einzige Oper bezieht klar Stellung gegen Unterdrückung und Tyrannei, am Ende siegen Gerechtigkeit und Menschheitsliebe – eine Utopie, aktueller denn je, zumal eine Frau als Heldin und Friedensbringerin im Mittelpunkt steht.
Beethoven greift in kriegerischen Zeiten auf einen hochpolitischen Stoff zurück: Die „fait historique“ erzählt die Geschichte einer heroischen Frau, die ihren Mann vor dem Terror der jakobinischen Schreckensherrschaft rettet.
Als Napoleon 1805 mit seinen Truppen Wien einnimmt muss die Uraufführung von Beethovens Oper im Theater an der Wien wegen der Zensur um eine Woche verschoben werden. Das Verhältnis Beethovens zu Napoleon ist durchaus gespannt: 1803 widmete er dem Befreier vom französischen Revolutionsterror seine dritte Symphonie, die Eroica, doch nachdem der Feldherr sich selbst zum Kaiser krönte, strich er kurzerhand die Widmung. Beethoven ist der erste Komponist der Geschichte, der die Aufgabe der Musik selbst bestimmt und sie als moralische Instanz und als politisches Gewissen versteht: „Ist er schon der musikalische Prototyp des revolutionären Bürgertums, so ist er zugleich der einer ihrer gesellschaftlichen Bevormundung entronnenen, ästhetisch voll autonomen, nicht länger bediensteten Musik.“ (Th.W.Adorno) Während Mozart mit seinem realistischen Menschenbild die Bühnencharaktere in all ihren emotionalen Gefährdungen zeigt, steht bei Beethoven eine nach Idealen strebende Frau (!) im Mittelpunkt, die sich dem aufklärerischen Geist verpflichtet fühlt und ihr Eigenwohl dem Allgemeinwohl unterordnet. Der Komponist spricht ex cathedra: Leonore geht es nicht nur um die Befreiung ihres Mannes allein, sondern die Befreiung der zu Unrecht Inhaftierten überhaupt, nachdem sie sich als Mann verkleidet in das Gefängnis eingeschleust hat. Ihr „Deckname“ Fidelio, der Getreue, wird zum Prinzip ihres vorbildlichen Handelns, das zum Sieg über das Unrecht führt.
Immer wieder wurden die dramaturgischen Unglaubwürdigkeiten des Librettos an der Grenze zur Lächerlichkeit bemängelt. Erst die dritte (und letzte) Fassung der Oper aus dem Jahr 1814, die heute üblicherweise gespielt wird, führt die Handlung stringent auf die Ankunft des Ministers zu, die die Ermordung von Leonores Mann im letzten Augenblick verhindert und die Freilassung aller zu Unrecht Inhaftierten bewirkt. In einem Dreischritt sprengt Beethoven die Gattungsgrenzen der traditionellen Operndramaturgie: Was zu Beginn noch als Singspiel in der kleinbürgerlichen Welt des Kerkermeisters mit ihren beschränkten Hoffnungen erscheint, wird zur großen Oper, wenn Leonore für Liebe und Freiheit gegen alle Widerstände kämpft. Am Ende steht schließlich das Weltgericht, das zwischen Gut und Böse scheidet, und die Feier der Befreiung. Im oratorischen Schlussjubel huldigen alle der Gattenliebe Leonores, deren Handeln durch die Liebe zum Menschen motiviert ist, und die somit zum Sinnbild gelebter Humanität wird.
Eine ähnlich beschwörende Botschaft des Komponisten an die Menschheit wird sich später (1824) im Schlusssatz der neunten Symphonie finden, dem Schillers Ode an die Freude zu Grunde liegt. Die Utopie einer in Frieden geeinten Menschheit scheint auf: „Alle Menschen werden Brüder“. Zumindest in der Musik Beethovens wird das Elysium Wirklichkeit, das hat etwas Tröstendes.
„Fidelio“ I 18.(P., konzertant)/21./25.11. I Oper am Dom I 0221 22 12 84 00
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