Ohne diplomatisches Fingerspitzengefühl hätte es „Figaros Hochzeit“ wohl nicht bis zur Uraufführung geschafft – zumindest nicht zu Mozarts Zeiten. Denn das Theaterstück von Beaumarchais, das der Komischen Oper zugrunde liegt, durfte im Wien des späten 18. Jahrhunderts nicht aufgeführt werden. Zu „aufrührerisch“ war den Habsburgern die Kritik des Franzosen an dem feudalen „Recht der ersten Nacht“. Doch Lorenzo da Ponte, den nicht nur seine besondere Anpassungsfähigkeit gegenüber seinen Komponisten, sondern auch gegenüber den politischen Verhältnissen auszeichnete, milderte den Stoff so weit ab, dass er von Kaiser Joseph II. schließlich durch die Zensur gewunken wurde. Mozart konnte sich also freuen. Irgendwie muss es ihn aber auch geärgert haben, wieder einmal vor dem Adel zu Kreuze kriechen zu müssen. Die Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“ jedenfalls schäumt nur so über vor Lust aufs Aufrührerische – so sehr, dass Mozart mit ihr das althergebrachte Konzept der Ouvertüre als zusammenfassende Vorschau auf die kommenden Arien und Ensembles völlig über den Haufen warf.
Regisseurin Mariame Clément hat dieses dramaturgische Manko auf recht originelle Weise ausgeglichen. An der Oper Dortmund zeigt die Französin zu Beginn des ersten Akts nicht nur den Figaro und seine Susanna in ihrem neuen Schlafzimmer, sondern gleich auch alle anderen Räume des gräflichen Schlosses in Parallelmontage. Stumm agierend sind da bereits Musikmeister Basilio an Cembalo und Geige zu sehen, die Gräfin in ihrem eigenen Schlafzimmer und die Dienerschaft in der Küche. Bis auf ein paar Möbelstücke bleibt die Bühne von Ausstatterin Julia Hansen erst einmal leer. Von einer abstrakten Inszenierung kann dennoch keine Rede sein. Clément und Hansen bieten eine Produktion, nach der das konservative Opernpublikum nicht müde wird zu verlangen: eine werkgetreue Aufführung ohne Aktualisierungen und größere Überraschungen.
Auf den ersten Blick wirkt das wenig aufregend, doch Clément vermag sehr schnell mit vorzüglichen handwerklichen Qualitäten zu überzeugen. Ihre Inszenierung ist bis ins Detail durchdacht und die Personenführung entsprechend ausgefeilt. Hinzu kommt ein spielfreudiges Ensemble, das sich bis in die Nebenrollen sehr lustvoll darauf einlässt – allen voran Hannes Brock als Don Basilio und als Garant für treffsichere Komik im Stile der Commedia dell´arte. Allerdings betont die Regie nicht nur das Komödiantische. Anke Briegel transportiert als sehr junge, aber nicht mehr naive Susanna auch die eigentliche Problematik des Stücks: Sie wird vom gräflichen Dienstherren sexuell bedrängt und hat – zunächst – wenig Möglichkeiten zur Gegenwehr.
Seinen musikalischen Stempel hat dieser Produktion indes noch Ex-GMD Jac van Steen aufgeprägt, der gerade Dortmund verlassen hat. Durch die Wiederaufnahme bleibt seine gute Arbeit mit den Dortmunder Philharmonikern und dem Gesangsensemble, mit dem auch der Maestro seine helle Freude gehabt haben dürfte, noch bis zum Jahresende im Spielplan präsent.
„Figaro“ I WA: 15. September I Oper Dortmund I 0231 502 72 22
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