Jan Wagner gehört zu jenen Literaten, die nicht nur in ihren Texten gut und gern mit Sprache umgehen. Beim Besuch des Lyrikers im Taltontheater zur Literaturbiennale blieb daran kein Zweifel, wo er neben dem Vortrag aus seinem Werk auch ausführlich Rede und Antwort stand. Gut: Im Gespräch mit Moderator Thomas Böhm wusste er Auskünfte zu seiner Arbeit klar zu formulieren. Und gern: Die Antworten waren ausführlich und zudem ungewöhnlich pragmatisch gegenüber dem eigenen Wort. Ziemlich selten, einen Gedichtvortrag kommentiert zu hören mit „Hier hätte ich auch Alternative x nehmen können“. An anderer Stelle: „Die strenge Form ist Zugewinn an Freiheit, damit das Gedicht zur Erfüllung findet.“ Und nicht nur klassische Reime zu wählen, sondern auch eine Korrespondenz zu finden wie „Abgelebtes“ – „Eukalyptus“: „Das ist ein beglückender Moment.“ Kokett mochte das alles sein, aber kaum aufgesetzt.
Nicht recht zum Zug kam hingegen die im Titel angekündigte „Reflexion der Autorschaft“, die „lyrische Maskenspiele“ – was wohl ab auf den schuldigen Bezug zu „#SchönLügen“ abzielte, dem diesjährigen Biennalen-Motto. Oder verbarg sich ein Spiel mit Wahrheit in etwa geflunkerten Antworten? Wagner bestritt, dass es ihm in seinem Band „Regentonnenvariationen“ um eine Überlegenheit der Natur gegenüber dem Menschen ging, wie es Rezensenten gesehen hätten. Das fällt schwer zu glauben, weil exakt dieser Eindruck sich beim Lesen des Buches aufdrängt, auch wenn man keine einzige dieser Besprechungen kennt. Doch eine Lüge des Dichters? Kaum. Vielmehr ging es Wagner wohl so ähnlich wie beim Einzelgedicht auch beim Gesamtband, bei dessen verbindendem Bogen: Was dort die Form vorgibt, mochte hier der Anfang vorlegen. Gestaltet die Ode an den Giersch dessen wuchernde Fülle, so sprießen beim Schreiben eines Lyrikbands die Gedichte, wenn das Thema einmal gesetzt ist.
Vergleichsweise karg und prosaisch der Auftritt der Schriftstellerin Josefine Rieks im Mirker Bahnhof, dem „Klubbing“-Beitrag von Eins Live zur Biennale. Was insofern kein Vorwurf ist, als die Berlinerin Prosa schreibt und hier ihren ersten Roman „Serverland“ vorstellte. Er erzählt von einer Zukunft in unserer Welt mit genau einem Unterschied, den wir Heutigen allerdings grundlegend finden: Es gibt kein Internet. Jugendliche finden einen Server, ein Freak tut manch Technisches und erschließt ihnen die Ära der Vernetzung. Ein Land vor ihrer Zeit.
Seltsamerweise wurde das Debüt gern anderen Genres zugeschlagen, um dann im Zweifel zu enttäuschen. Rieks heute lakonisch: „Dann tut es mir leid für die Fantasy-Fans.“ Womit schon besagter Tonfall angedeutet ist, den die Berlinerin anschlug und der sie verglichen mit dem Lyrikkollegen nicht eben gesprächig machte. Auf die Zuschauerfrage „Was macht Josefine Rieks aus?“, kam es beispielsweise vom Podest fast reglos: „Ich bin eine Frau. Ich bin 29 Jahre alt. Mein Hobby ist Lesen.“ Nur gnädig noch dahinter: „… und Spazierengehen.“ Sparsamkeit als Autorinnenhaltung – schlecht ist das auch nicht.
Sicher erfüllt „Serverland“ nicht alle Erwartungen – aber vor allem nicht die falschen. Die Auszüge und Äußerungen genügten für den Eindruck: Der Roman will eine Story erzählen und wählt dafür ein Setting. Was er nicht tut und auch nicht will, ist, ein Panorama möglichst skurriler Kontraste zu unseren virtuellen Gewohnheiten zu entfalten – daher ist er etwa keine Satire, wie man hätte meinen können, und übrigens auch nicht besonders unterhaltsam, was er aber auch nicht behauptet. Die vielleicht witzigste Idee in diese Richtung kam im Mirker Bahnhof nicht von der Autorin, sondern von der Moderation: Zu Beginn bat Mona Ameziane die Zuschauer, doch für die Veranstaltung bitte die Handys auszuschalten. Im Saal: leichtes Schaudern. Wobei das dann auch schon das Beste war, was man dem auf Sendbarkeit getrimmten „Klubbing“-Format heute insgesamt abgewinnen mochte: Arg routiniert manche Frage, arg kurz die Lesehäppchen zwischen den Musikeinspielern. Schwer, da durchzublicken oder auch nur recht einzutauchen. Wer gemein sein wollte, hätte sich heute weniger für eine Welt ohne Internet interessieren mögen als für eine ohne Formatradio – und ahnen, dass sie vielleicht ganz schön wäre.
Versuch eines Fazits? Für Gewagtes oder gar Fantastisches ist Literatur vielleicht die beste Adresse, schon um schrägen Klagen zu entgehen. Vielleicht zückt ja ein Autor die Feder und lässt einmal Jan Wagner und Josefine Rieks aufeinandertreffen? Spazieren zum Beispiel geht nicht nur die Berlinerin gerne: Auch Dichter Wagner erwähnt zufällig, der Gang durch die Natur sei ihm „vielleicht die schönste Arbeitsform“. Eine besonders relevante Gemeinsamkeit wäre das vielleicht aber noch nicht. Schön, dass Literatur nicht einmal relevant sein muss.
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