Burghart Klaußner begann seine mittlerweile über 50jährige Schauspielkarriere unter George Tabori am Theater, wo er mittlerweile auf allen bedeutenden deutschsprachigen Bühnen aufgetreten ist. Auch seine Filmografie ist voller Highlights, von „Rossini“ über „Good Bye, Lenin!“ und „Die fetten Jahre sind vorbei“ bis hin zu „Nachtzug nach Lissabon“ oder „Bridge of Spies“ von Steven Spielberg. Für Lars Kraume hat er in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ und „Das schweigende Klassenzimmer“ vor der Kamera gestanden. Ihre jüngste Zusammenarbeit „Die Unschärferelation der Liebe“ läuft am 29. Juni in den Kinos an.
engels: Herr Klaußner, Sie haben die Figur ja bereits bei der deutschen Erstaufführung des Theaterstücks in Düsseldorf gespielt…
Burghart Klaußner: Ja, nicht nur in Düsseldorf, sondern anschließend auch noch in Wien am Burgtheater, das war wirklich ein großer Erfolg.
Dann konnten Sie vermutlich davon profitieren, den bereits gut bekannten Text einfach wieder abzurufen?
In diesem Fall schon, weil es textlich nicht verändert wurde. Die Drehbuchautoren haben das so übernommen, wie der Theaterautor es formuliert hat und wie es dann übersetzt wurde. Weil es einfach sehr gut formuliert war, die Gespräche immer überraschende Wendungen genommen haben, und weil alles so gut funktioniert hat, haben wir es eins zu eins übernommen, was natürlich sehr geholfen hat.
Lore Stefaneks Theaterfassung war eher abstrakt, auch was die Kulissen angeht, Lars Kraume hat das Ganze nun wesentlich realitätsnaher inszeniert. Was waren denn die größten Herausforderungen bei dieser Umstellung?
Das ist natürlich genau die richtige Frage, denn damit haben wir unbekanntes Terrain betreten. Wir wussten ja nicht, ob der Text sich in der beinharten Realität des Films wird halten und bewähren können. Und das hat er getan! Er hat sich in der U-Bahn bewährt, auf der Straße, in der Metzgerei, obwohl wir dem zunächst etwas skeptisch entgegengesehen hatten. Ich würde nicht sagen, dass Lore Stefanek das abstrakt umgesetzt hat, das hatte schon Hand und Fuß, es ist nur auf einer Theaterbühne eine grundsätzlich andere Situation: ein mehr oder weniger einheitliches Bühnenbild am Theater und ein ständig wechselnder Flow of Life in der Filmversion.
Während dieser geschliffenen Dialoge haben Sie ständig die unterschiedlichsten Handgriffe zu tun oder bewegen sich durch sehr belebte Orte in Berlin. Ist das logistisch nicht sehr schwierig, wie geht man das als Schauspieler an?
Die Dialoge sind meiner Meinung nach nicht in dem Sinne geschliffen, dass sie besonders intellektuell oder kopfig daherkommen würden. Die Figuren sind einfach nur beredt, sie sind nicht auf den Mund gefallen. Insbesondere die weibliche Hauptfigur ist in ihrer Fabulierlust geradezu barock. Sie ist eine schillernde Figur, die etwas von einer Borderlinerin hat. Die Handgriffe sind bei einem Film und auch bei einem Theaterstück eigentlich immer dabei, man hat es mit den Dingen des Lebens zu tun. Man muss ein U-Bahn-Ticket ziehen oder ein Stück Fleisch kleinschneiden, da muss man sich schon organisieren, das kann man nicht aus dem Ärmel schütteln oder improvisieren. Das sind alles Teile der Inszenierung und auch des Blickwinkels der Kamera, aber das gehört alles zur Arbeit am Drehort dazu.
Sie sind auch Creative Producer des Films. Heißt das, dass Sie die Verfilmung des Stoffs initiiert haben?
Genau das heißt es, das ist ins Schwarze getroffen. Ich habe schon gleich nach der Premiere zu meiner Partnerin Caroline Peters gesagt, dass wir versuchen müssen, daraus einen Film zu machen, weil ich fest daran geglaubt habe. Ich hatte auch das Stück schon aufgrund eines Tipps aus dem Dunkel des Unbekannten gezogen und dem Schauspielhaus Düsseldorf vorgeschlagen. Daran schloss sich dann die Idee der Verfilmung an. Ich habe mit dem Autor über die Filmrechte verhandelt, eine Produktionsfirma gefunden, X Filme Creative Pool in Berlin, mit der ich auch schon andere Projekte gemacht hatte. Und letztendlich auch den Regisseur Lars Kraume, mit dem ich auch schon öfter gearbeitet hatte, zuletzt in den Filmen „Das schweigende Klassenzimmer“ und „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Lars war mit dem Stoff gut vertraut und hatte schon einmal überlegt, es am Theater selbst in die Hand zu nehmen. Deswegen hat er gleich ja gesagt, was ein Glücksfall für uns war, denn er ist einfach ein wunderbarer Mensch und Regisseur. Insgesamt hat das alles sechs Jahre gedauert und war nicht immer einfach, aber umso glücklicher sind wir jetzt, dass es eingetütet ist.
Die Grundkonstellation des Films ist eine nervtötende Zufallsbekanntschaft auf der Straße. Passiert Ihnen das auch gelegentlich, zumal Sie ja sicher häufig erkannt werden?
Ich sage immer: „Erkannt, aber hoffentlich nicht durchschaut.“ (lacht) Das war bisher eigentlich immer angenehm. Aber hier ist es ja auf die Spitze getrieben. Alex bekommt einen Kuss in den Nacken, nachts an einer Bushaltestelle von einer Unbekannten. Das geht wirklich ein bisschen zu weit. Aber es ist die Grenzüberschreitung, die manchmal nötig ist, um etwas in Bewegung zu setzen, auch im Leben. Das ist mir zwar in dieser Art noch nicht passiert, aber man kann nur sagen, das Leben hat kein Geländer und manchmal passieren die unwahrscheinlichsten Dinge – und warum auch nicht?
Als Alexander über seine Lieblingsmusik spricht, bleibt eigentlich kaum etwas ungenannt. Er scheint alles zu mögen. Wie ist das bei Ihnen?
Ganz so weit gefächert ist meine Kenntnis nicht, mein Interesse aber schon. Der Alexander im Film hat nichts, was ihm das Leben bunter macht als die Musik. Deshalb stöpselt er sich mit seinen Kopfhörern auch noch gegen die Außenwelt ab, und von Heavy Metal über Romantic bis Indie Pop ist ihm alles recht. Mir persönlich ist bis zu einem gewissen Grade auch alles recht. Ich habe gerade erst aus England die neuesten Punk-Nachfolgebands gehört, die ihren Unwillen über die unmöglichen Verhältnisse in diesem Land der großen Klassenunterschiede zum Ausdruck bringen, in dem es eine Armut gibt, die wir uns in Deutschland gar nicht vorstellen können, und einen Reichtum, der genauso ins Extreme tendiert. Da gibt es neue Musikstile, die, wie so oft, aus dem Zorn und der Empörung geboren sind und ganz hoch energetisch sind, was ich sehr spannend finde. Ansonsten bin ich natürlich auch als alter Romantiker ein großer Beatles-, Beach-Boys- und Rolling-Stones-Fan.
Über dem Abspann singen Sie dann den Gene-Vincent-Klassiker „Be-Bop-a-lula“ in voller Länge, und Sie haben ja auch schon auf der Bühne Erfahrungen als Swing-Sänger…
Ich habe eine Band und ein Programm mit dem merkwürdigen Titel „Zum Klaußner“, nach einer Gaststätte, die die Familie einmal hatte, in der viel Swing, Rock’n‘Roll und ähnliches zum Tragen kommt. Wir werden in bescheidenem Umfang im Rahmen dieses Films auch Konzerte geben. Da liegt eine Parallele zur Figur des Alexander Kirchner, die ich im Film spiele, denn die Musik spielt eine absolute Hauptrolle in meinem Leben. Insofern verstehe ich die Figur schon sehr gut. Außerdem ist er auch ein Klaußner, denn das ist ja der Bedeutung des Wortes nach ein Eremit. Alex ist ein ziemlicher Einzelgänger und Eigenbrötler.
Es geht im Film auch um die Dichotomie von Fühlen und Denken. Alexander ist eher der Denker, aber Sie scheinen eher ein emotionaler als ein rationaler Typ zu sein, richtig?
Im Verhältnis zu Alexander Kirchner bestimmt. Aber im Verhältnis zu mir ist es total ausgeglichen (lacht). Ich bin schon ein Nachdenker, Denker, Vordenker, aber auch ein Fühler und Nachfühler, aber hoffentlich kein Nachtrager. Nein, das Denken und der Bauch müssen im Einklang sein, um ein gutes Leben zu führen.
In der Eröffnungsszene des Films wird ein Blick geworfen auf die Unikate und Eigenbrötler in den Straßen von Berlin. Kann eine solche Geschichte dort eher passieren als anderswo?
Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass diese Eingangssequenz dem Regietalent von Lars Kraume zu verdanken ist, und das hat er erfunden, das ist nirgendwo niedergeschrieben. Ob das in Köln oder Düsseldorf so anders wäre, lassen wir mal dahingestellt. Ich denke, hier geht es ganz allgemein um den Stadtbewohner und die Stadtbewohnerin, die immer sehen müssen, dass sie aus der Einsamkeit, die einem in der Stadt sehr schnell passieren kann, herausfinden. Alle Szenen, die an Alexander auf der Busfahrt vorbeihuschen, sind Zweierbegegnungen. Das ist auffällig, sogar bis hin zu zwei Kirchtürmen (lacht). Das Leben ist im Doppel eben einfacher zu meistern.
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