Die 1996 geborene Mala Emde hat schon während ihrer Schulzeit erstmals vor der Kamera gestanden. Während sie erste Erfolge im Kino feierte mit Filmen wie „Wir töten Stella“ und „303“ oder im Fernsehen in der Serie „Charité“, absolvierte sie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin ihre Schauspielausbildung. Nach weiteren Rollen in „Und morgen die ganze Welt“ und „Aus meiner Haut“ kann man sie nun in der Roman-Adaption „Die Mittagsfrau“ in der Hauptrolle sehen, die am 28. September in den Kinos anläuft.
engels: Frau Emde, die Romanvorlage von Julia Franck war ein großer Erfolg. Wann sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?
Ich hatte den Roman vorher tatsächlich noch nicht gelesen. Aber ich hatte davon gehört, weil meine Schwester ihn immer als ihren Lieblingsroman bezeichnet hat. Er stand in unserem Regal, aber ich war nie dazu gekommen, ihn zu lesen. Als ich die Casting-Einladung bekommen hatte, habe ich ihn dann gelesen und habe es als Glück empfunden, mich mit dem Buch und dem Thema zu beschäftigen.
Im Gegensatz zum Buch springt der Film innerhalb seiner historischen Klammer immer in den Zeiten hin und her. War das schon im Drehbuch so angelegt oder ist das erst im Schnitt entstanden?
Es waren von Anfang an schon einige Rückblenden angelegt, aber Barbara Albert, die Regisseurin, hat sich im Schnitt dann dazu entschieden, diese noch weiter aufzufächern. Die Entscheidung dafür hängt damit zusammen, dass man durch dieses Mittel viel stärker bei der Figur der Helene bleiben wollte. Ich habe das Gefühl, dass durch das Bildkonzept von Filip Zumbrunn alle Handlungsstränge sehr eng miteinander zusammenhängen und man als Zuschauer:in weniger das Gefühl hat, dass da mehrere Jahrzehnte aus dem Leben einer Figur erzählt werden.
Helena Pieske spielt Ihre Figur als junges Mädchen. Haben Sie sich miteinander abgesprochen, wie Sie die Rolle anlegen?
Ja, das haben wir zusammen mit der Regisseurin Barbara Albert. Bis in banale Details haben wir das abgestimmt, ich habe Helene beispielsweise immer als Linkshänderin gesehen, und das hat Helena dann auch so übernommen. Auch die Tatsache, dass die Figur immer sehr genau hinschaut und beobachtet, hat Helena meiner Meinung nach ganz bezaubernd gespielt.
Die sexuelle Freizügigkeit der 1920er Jahre, die der Film schildert, wird dann kurz darauf durch das Aufkommen des NS-Regimes wieder extrem unterdrückt. Sehen Sie in der Geschichte Parallelen zu unserer heutigen Zeit?
Ich finde, dass dieser Film heute auf eine erschreckende Weise wahnsinnig relevant ist! Er erzählt vor allen Dingen die Historie des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive einer Frau, was ich in dieser extremen Form bisher noch nicht gesehen hatte. Geschichte wird auch heute meist aus männlicher Sicht erzählt. Als ich gerade wieder gesehen habe, wie bei uns die aktuellen Wahlumfragen aussehen, und wie sich das auch global entwickelt hat, dann sehe ich da erschreckende Parallelen. In Diktaturen sind meist die Rechte von Frauen eingeschränkt, und dadurch übt die Politik Einfluss aus bis in die eigenen vier Wände der Menschen. Was das mit den Menschen macht, wie es sie krankmacht, sieht man auch heute wieder. Die 1920er Jahre wirken auf uns schon sehr historisch, aber mit dem Aufkommen des Dritten Reiches im Film wird die Geschichte für mich immer heutiger, aktueller und zeitloser. Die Erinnerung an diese Zeit ist eine wichtige Warnung an das Heute.
In unserem letzten Interview sagten Sie, dass Sie sich in heutigen Stoffen „eher zuhause“ fühlen. Was hat Sie nun an diesem historischen Stoff am meisten gereizt, um doch wieder zuzusagen?
Als ich die Casting-Anfrage erhielt, war ich zunächst skeptisch, da ich schon viele Filme aus dieser Zeit gedreht hatte. Vor dem Casting habe ich dann mit der Regisseurin Barbara Albert gesprochen, was für mich ausschlaggebend war, denn bei ihrer Vision von dem Film wurde mir klar, dass wir eine ganz ähnliche Sache erzählen wollen, dass sie einen neuen Ansatz verfolgt, den ich so noch nicht gesehen hatte und bei dem ich unbedingt dabei sein wollte. Das ist eine weibliche Perspektive, die so universell ist und so das eigentliche Leben der Menschen abbildet, dass ich Lust hatte, diese Rolle zu verkörpern.
Ungewöhnlich ist auch der Blick auf die Schmerzen der Mutterschaft, von der Geburt bis hin zum Stillen des Babys. Ist das ein besonderer weiblicher Blickwinkel, der durch die Autorin oder die Regisseurin entstanden ist?
Ich mag daran die Rigorosität des Films, dass er aus der Historie heraus erzählt, was es für eine Frau bedeutet, wenn es keine Waschmaschine gibt, wenn es keine Silikonpads für die Brüste gibt, wenn man stillt, dass es keine PDA gibt bei der Geburt. Das war auch für mich als Spielerin total spannend zu sehen. Helene ist für mich am Anfang dieser freigeistige, neugierige, wunderschöne Mensch, der durch die Umstände immer mehr gefangengenommen wird in der Rolle der Frau. Erst durch die Ehe, die sie zum Überleben braucht, aber dann auch gefangengenommen durch ihren Körper. Da ich selbst noch nicht Mutter bin, musste ich mir auch erst aneignen, was das bedeutet. Dass Mutterschaft auch eine Bindung ist, die nicht gebrochen werden darf. Ich kann vor jeder Mutter nur meinen Hut ziehen, ich habe einen enormen Respekt davor.
Helene hat zwei ganz unterschiedliche Beziehungen, die auch sehr explizit geschildert werden. Waren das schwierige Szenen, gab es dabei einen Intimitätscoach vor Ort?
Wenn ich in einem Drehbuch Sexszenen finde, dann mache ich die nur, wenn ich finde, dass sie etwas Unabdingbares erzählen. Und das war hier der Fall. Ich habe in Barbara Albert ein großes Vertrauen, sie hat diese Szenen wahnsinnig schön und sehr klug inszeniert. Wir hatten auch einen Intimacy Coach vor Ort, auch für Max von der Groeben, der mein Partner in der zweiten, sehr gewaltvollen Beziehung ist. Die beiden Liebesszenen mit seiner Figur sind sehr unschön für Helene. Das ist heutzutage auch eine große Herausforderung für den Schauspieler des Mannes, denn keiner will das spielen, wie er seine Partnerin dermaßen übermannt. So hart diese Szenen sind, mit einer dermaßen guten Vorbereitung durch den Intimacy Coach hatten wir am Ende – so absurd das jetzt klingt – sogar Spaß dabei. Bei einer guten Vorbereitung ist das dann fast wie ein Tanz, da kann man loslassen und fühlt sich sicher. Wenn man einen guten, respektvollen Umgang miteinander hat, kann man die härtesten Geschichten erzählen und am Ende trotzdem völlig heil dabei herauskommen. Ein Intimacy Coach ist einfach eine tolle Erfindung, denn man spricht vor und nach einer Szene miteinander darüber, auch am nächsten Tag, weil sich etwas vielleicht auch erst im eigenen Körper setzt und man darüber schlafen muss. Es entlastet auch den Regisseur, denn oftmals haben diese einfach auch Respekt davor, eine Sexszene zu inszenieren, weil alle aufgeregt sind. Aber es gibt ganz einfache Methoden, dass man bei Unsicherheiten ganz direkt darüber sprechen kann. Hier hat die Filmbranche einen echten Fortschritt errungen.
Inwiefern ist der Sagenbegriff der „Mittagsfrau“ für diese Geschichte eigentlich relevant?
Die Gestalt stammt aus einer slawischen Sage, und Helene sagt gleich am Anfang des Films, man müsse dieser Erscheinung seine Geschichte erzählen, sonst würde man verrückt werden. Für mich ist die Geschichte der Mittagsfrau verbunden mit der Herkunft. Eltern tun teilweise unerklärliche Dinge. Jeder erwachsen gewordene Mensch fragt sich das bei der einen oder anderen Sache in Bezug auf seine Eltern. Das zu verurteilen ist ganz einfach. Aber die Mittagsfrau lädt mich dazu ein, nach der Geschichte zu fragen, die dahintersteckt. Helene versucht, ihrem Sohn nach Kriegsende zu erklären, wo sie herkommt. Aber er hat keinen blassen Schimmer, wovon sie redet, und sie merkt, sie werden sich nie verstehen. Deswegen entscheidet sie sich in diesem Moment, ihn zu verlassen. Ich glaube, es geht bei der Sage darum, wie wichtig es ist, dass wir uns unsere Geschichten erzählen. Nur so können wir spüren, wer wir sind, warum wir so sind, wie wir sind und wie wir uns weiterentwickeln.
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