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Am Grab seiner jung verstorbenen Frau: Stefan Gorski als Egger in „Ein ganzes Leben“
Foto: Presse

„Zufriedenheit ist eine innere Einstellungssache“

31. Oktober 2023

Stefan Gorski über „Ein ganzes Leben“ – Roter Teppich 11/23

Stefan Gorski, 1991 in Wien geboren, hat schon während seiner Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar auf der Bühne des renommierten Theaters in der Josefstadt gestanden. Seit 2016/17 ist er Ensemblemitglied am Schauspielhaus Düsseldorf, wo er u.a. als Mephisto in „Faust (to go)“ oder in der männlichen Titelrolle von „Romeo und Julia“ zu sehen war. Mit Sönke Wortmanns Kinofilm „Contra“ wurde er Ende 2021 auch deutschlandweit wahrgenommen. Nun spielt er die Hauptrolle in „Ein ganzes Leben“, der am 9. November in den Kinos startet.

engels: Herr Gorski, bislang haben Sie in Kinofilmen eher kleinere Rollen gespielt, in „Ein ganzes Leben“ müssen Sie im Prinzip den Hauptteil des Films tragen. Hatten Sie viel Respekt vor der Rolle?

Stefan Gorski: Ja! Regisseur Hans Steinbichler wollte explizit jemanden, den man noch nicht so kennt, denn er wollte für den Zuschauer eine möglichst große Projektionsfläche bieten und hier nicht jemanden besetzen, den man schon aus anderen Zusammenhängen kennen und ein bestimmtes Bild im Kopf haben könnte. Das war für mich ein wahnsinniges Glück! Ich bin dankbar, war mir aber auch der Verantwortung bewusst, die durch die Hauptrolle auf mich zukam –vor allem, wenn der Film aus einem so tollen, gut verkauften und sehr beliebten Roman entspringt. Ich habe mich sehr gefreut, denn solche Angebote bekommt man, vor allem, wenn man vom Theater kommt, nicht jeden zweiten Tag. Ich bin mit sehr viel Respekt, aber mit mindestens genauso viel Spielfreude an die Rolle herangegangen.

Die Rolle wird insgesamt von drei Schauspielern gespielt, aber auch in Ihrem Part gibt es quasi drei Phasen, in denen Sie sich auch optisch sehr verändern. Wie wurde das bewerkstelligt, wurde vielleicht sogar chronologisch gedreht?

Nein, der Film wurde nicht chronologisch gedreht, aber wir hatten ein fantastisches Masken-Department! Helene Lang hat das angeführt und großartige Arbeit geleistet, mich in drei Altersstufen zu zeigen. Ich habe Andreas Egger im Alter von 18 Jahren gespielt, mit 32 Jahren, also in ungefähr meinem jetzigen Alter, und auch noch einmal mit 46 Jahren. Dank der Genauigkeit des Maskenteams ist das auch beim nicht-chronologischen Drehen so überzeugend gelungen! Das bedeutete aber auch, dass wir sehr viel Zeit miteinander verbracht haben – morgens, aber auch im Laufe des Tages, weil wir teilweise mehrere Altersabschnitte an einem Tag gespielt haben.

Der Film spielt vor rund 100 Jahren. War es schwierig, in diese Zeit hineinzufinden, gerade in einem ländlichen und deswegen noch rückständigeren Umfeld?

Ich selbst komme ja aus der Stadt und habe deswegen schon rein geografisch ein anderes Tempo, deswegen habe ich mich schon Wochen vorher in der Vorbereitung an den Drehort begeben. Dort habe ich wochenlang bei Bauernfamilien gelebt, um mir ein Gefühl davon zu verschaffen, wie es ist, in dieser Ruhe zu leben, welches Tempo die Leute haben und mein Tempo bewusst herunterzuschrauben, in der Sprache, in der Empfindung, im Denken. Ich habe mich da größtmöglich der Kommunikation mit der Außenwelt entzogen und habe die dort üblichen Arbeiten gemacht. Ich habe mitgeholfen, im Stall auszumisten und die Kühe zu füttern, täglich um 3 Uhr nachts und nochmal nachmittags um 16 Uhr. Ich war aber auch viel allein und habe damit versucht, mir die Zurückgezogenheit der Figur anzueignen. Die Egger-Hütte wurde eigens für den Film in einem Naturschutzgebiet gebaut, und mir wurde freundlicherweise von den Behörden dort gestattet, darin alleine zu übernachten, um diesen Ort an mich heranzuholen.

Egger ist bedingt durch seinen Beruf und seine Zeit ein Mensch, der durch harte körperliche Arbeit geprägt ist. Auch Ihre Darstellung ist sehr körperlich, kam das Ihrem eigenen Naturell entgegen?

Die Figur ist in der Tat sehr körperlich, und ich habe mich auch entsprechend darauf vorbereitet. Andreas Egger wird als sehr stark beschrieben, jemand, der immer sehr diszipliniert anpackt. Man respektiert ihn dafür sehr. Er war einerseits wegen seiner Umstände gesellschaftlich ausgeschlossen, er war ein Waisenkind, hatte keine Eltern, was damals ungefähr einer Erbsünde entsprach, hinkt auch noch dazu, weil er im Kindesalter geschunden wurde. Andererseits wurde er wegen seiner Stärke und seiner Schaffenskraft doch respektiert. Ich bin kein besonders bulliger Typ, auch kein sehnig-drahtiger, deswegen hatte ich mir gedacht, um diese Stärke auch physikalisch zu repräsentieren, sollte ich mir etwas Muskelmasse draufpacken. Ungefähr ein Jahr vorher habe ich deswegen mit Krafttraining begonnen, und hatte dadurch vor Drehbeginn fünf zusätzliche Kilo Muskelmasse aufgebaut. Vor handwerklicher Arbeit schrecke ich selbst nicht zurück, ich helfe gerne und habe auch immer mit angepackt, wenn es etwas zu tun gab. Ich komme selbst auch halb vom Land, meine Eltern kommen aus dem Süden Polens, aus dem Gebirge, da gab es auch immer etwas zu tun. Aber es war auch toll, darauf mal wieder den Fokus zu legen, weil mein Alltag ansonsten schon eher aus geistiger oder musischer Arbeit besteht. Hier mal haptisch mehr mit den Händen zu arbeiten, war für mich ein Stückweit auch sehr meditativ.

Wo nimmt diese Figur Andreas Egger eigentlich ihre Kraft her, nach all den seelischen und körperlichen Verlusten dennoch so energiegeladen weiterzumachen?

Das ist ja gerade das Bewundernswerte an der Figur, dass er trotz der Schicksalsschläge und der Widrigkeiten, die er erlebt, daran nicht zugrunde geht, denn er hat keine Ressentiments gegenüber dem Schicksal oder den Menschen, die ihm etwas zufügen. Er akzeptiert, dass es Dinge gibt, die er nicht kontrollieren kann, er empfindet wahnsinnig stark, bleibt aber nicht daran hängen und kompensiert das nicht mit Alkohol oder Zorn oder Bitterkeit gegenüber den anderen. Er bleibt eine gute Seele. Denn er hat Liebe erfahren an Orten, wo er das vielleicht nicht erwartet hatte. Zunächst am Hof durch Ahnl, eine Art Großmutterfigur, die ihm Liebe und Aufmerksamkeit schenkt, im Gegensatz zu allen anderen. Diese Art von Liebe hat ihn in den ersten Jahren gestützt. Und später lernt er Marie kennen, seine erste und einzige große Liebe, auf die er bis zu seinem Lebensende noch zurückgreifen kann. Obwohl er sie so früh verliert, empfindet er ihr gegenüber eine große Treue, die ihn später stark macht und pur.

Tod und Verlust sind zentrale Themen in „Ein ganzes Leben“. Hat Sie der Stoff angeregt, ebenfalls mehr über das Leben nachzudenken?

Ja, bestimmt. Es sind natürlich keine Themen, die mir neu waren, aber die Aufmerksamkeit darauf wurde doch noch einmal verstärkt. Was ist Zufriedenheit, was brauche ich eigentlich im Leben? Was wäre der schlimmste Verlust in meinem Leben? Man macht sich dann Gedanken darüber, wie man selbst damit umgehen würde und versucht, sich darauf vorzubereiten. Ich habe das Glück, dass ich noch nicht so schwere Schicksalsschläge erlebt habe wie er, diese Verluste, oder dass ich in den Krieg musste. Ich bin wahnsinnig privilegiert im Gegensatz zu Egger. Es ist mir aus meinem privilegierten Standpunkt heraus bewusst, dass Zufriedenheit nicht auf äußere Umstände zurückzuführen ist, sondern eine innere Einstellungssache ist. Ich hoffe, dass ich mir diese Idee bewahren und sie in mir kultivieren kann.

Sie haben umfangreiche Theatererfahrungen. War es eine große Umstellung, hier nun solch einen wortkargen Mann zu spielen, bei dem das meiste über kleine, subtile Gesten abläuft?

Film ist ein anderes Medium, und deswegen muss man sich auch eines anderen Handwerks bedienen. Im Theater muss man mich in der letzten Reihe noch hören. Man muss sich da einfach seines Werkzeugs bewusst sein. Aber die Dialogarmut war für mich sehr entspannend, weil ich mich dabei aufs Wahrnehmen, aufs Aufnehmen, aufs Aufsaugen und aufs Beobachten konzentrieren konnte. Meine Aufgabe bestand darin, dabei eine Subtilität zu finden. Ich fand es aber sehr spannend, mich hier auf das Wahrnehmen im Gegensatz zum Tun zu konzentrieren.

Regisseur Hans Steinbichler ist bekannt für seine naturalistischen Schauspielerfilme. Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit ihm empfunden?

Die Zusammenarbeit war sehr vertrauensvoll. Wir haben natürlich schon lange imVorfeld viel gemeinsam über den Stoff gesprochen, und wir hatten die Abmachung, dass er mir sein Vertrauen schenkt, wenn ich ihm meines schenke. So hatten wir einfach eine gute Kommunikation miteinander. Hans hat schon sehr lange für diesen Stoff gebrannt, und hat das mit jedem Satz, den er sagte, ausgestrahlt. Deswegen wusste ich schnell, dass ich in ihm eine gute Führungsfigur habe, auf die ich mich verlassen kann, sowohl handwerklich als auch künstlerisch. Er neigte dazu, seine Regieanweisungen in Metaphern wiederzugeben. Beispielsweise in Bezug auf die Liebe zwischen Egger und Marie: „Liebe ist, wie wenn man zwei Eier in die Pfanne schlägt, die dann ganz langsam automatisch aufeinander zulaufen.“ Für manche mag das zu abstrakt sein, ich mochte diese Art der Kommunikation, insofern war unsere Zusammenarbeit sehr gehaltvoll.

Frank Brenner

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