Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Schlechtes Timing zum Philosophieren
Foto: Liukovmaksym / Adobe Stock

Phallische Beeren

30. August 2022

Man muss nicht klug essen, um ein Klugscheißer zu sein – Glosse

In Europa müssen Hersteller immer mehr Informationen auf Lebensmitteln angeben; denn wir wollen ja wissen, was wir zu uns nehmen. Wollen wir das? Bedeutet klug sein bereits, klug zu essen? Wissen ist, darüber Bescheid zu wissen, dass Tomaten Früchte sind. Weisheit ist, sie nicht in den Obstsalat zu tun. Philosophie ist, sich darüber Gedanken zu machen, ob Ketchup dann ein Smoothie ist. Gesunder Menschenverstand ist, zu wissen, dass Ketchup selbstverständlich kein Smoothie ist. Seit Menschengedenken besteht eine enge Verbindung zwischen den verschiedenen Formen intellektueller Prozesse und dem, was wir zu uns nehmen (sollten). Doch wer sich mit einem Thema auskennt, gehört oft nicht unbedingt zu den beliebtesten und respektiertesten Partygästen. Wer es versteht, in den frühen Morgenstunden noch aus den absurdesten Getränkeresten einen leckeren Cocktail zu mischen, den lädt man auch auf die nächste Feier wieder ein, aber eine Karriere in einem Dax-Vorstand gesteht man ihm insgeheim, bei allem Respekt, dann doch nicht zu.

Blutgruppe Butter

Menschen mit Wissen und Fähigkeiten stehen bei denen ohne stets an der Schwelle zwischen Bewunderung und Furcht. Wer weiß, welches Kraut vom Waldesrand nahrhaft oder gesund ist, gilt damals wie heute als Kräuter-Hexe. (Bei ungewollten Schwangerschaften ging man trotzdem hin. Oder bei gewollten. Aber auch hierbei geht es ja um Dinge, die sich – sozusagen – im Bauch abspielen.) Ernährungswissenschaftler erzählen mal, dass Gurken für schöne Haare und Nägel sorgen, und mal, dass das phallische Gemüse (das wie die Tomate auch eigentlich eine Frucht, sogar eine Beere ist) Blähungen verursacht. Wahrscheinlich haben sie beide Male recht, aber bei nicht so sehr in Agurologie (Gurkenlehre) Bewanderten haben sie schon mal verschissen.

Dass gute Bildung und gute Ernährung jedoch nicht untrennbar zusammengehören wie Bohnen und Speck, zeigen Ergebnisse aus den Amerikas. Knapp 42 Prozent aller erwachsenen US-Amerikaner haben einen College-Abschluss. Rund 66 Prozent von ihnen sind übergewichtig, und 32 % haben sogar die Blutgruppe Butter. In Bolivien hingegen lebt das Volk der Tsimané. Statt zu McD laufen sie in den Regenwald und ihr Lieferdienst heißt nicht Lieferheld, sondern Garten. Der würde zwar maximal 3,8 Sterne auf Google bekommen (und jeder weiß, dass alles unter 4 von 5 Sternen im Internet den geschäftlichen Tod bedeutet), aber die Tsimané gelten als das gesündeste Volk der Welt. Eine Studie zeigte, dass das Herz-Gefäß-System eines 80-jährigen Tsimané in diversen Parametern dem eines 50-jährigen Yankees entspräche.

Smoothie to smoke

Jetzt hört man ja so viel über den desolaten Zustand der Bildung in den USA. Vielleicht wissen die meisten Amis nicht, dass eine Tomate eine Frucht ist. In den Obstsalat tun sie sie aber dennoch nicht. Ich hingegen, im Land der Dichter und Denker sozialisiert und gebildet genug, um Wörter wie „Agurologie“ zu erfinden, esse weder Obst noch andere Früchte. Aber ich habe das Wissen, dass Hopfen zu den Hanfgewächsen zählt; die Weisheit, ihn nicht zu rauchen; und ich philosophiere darüber, ob das Bier zu einem Hopfensmoothie macht. Und nun appelliere ich an Ihren gesunden Menschenverstand, diese Frage zu beantworten.

 

NIMMER SATT - Aktiv im Thema

welt-ernaehrung.de/2014/12/26/die-lange-gruene-revolution | Kritisches Resümee zur Grünen Revolution anhand einer Studie des britisch-amerikanischen Wissenschaftlers und Aktivisten Raj Patel.
brot-fuer-die-welt.de/themen/ernaehrung | Kompakter Grundsatzartikel über Wege, Nahrungsmittel in der Welt gerecht zu verteilen.
zentrum-der-gesundheit.de/news/gesundheit/allgemein-gesundheit/kohlenhydratreiche-ernaehrung-schuetzt-das-herz | Gesunde Ernährung- und Lebensweise erklärt am Beispiel der bolivianischen Tsimane.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de

Marek Firlej

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Menschheitserbe vs. Konzernmonopol
Intro – Nimmer satt

Indigen statt intensiv
Die Nachhaltigkeitsfrage braucht mehr als industrielle Antworten – Teil 1: Leitartikel

„Mit Waffengewalt von ihren Ländereien vertrieben“
Landwirtschaftsexperte Markus Wolter über industrielle Landwirtschaft im globalen Süden – Teil 1: Interview

Souverän statt nur sicher
Das Wuppertaler Informationsbüro Nicaragua gibt Auskunft auch zu Agrarmodellen – Teil 1: Lokale Initiativen

Wer nichts weiß, muss alles schlucken
Gesunde Ernährung ist möglich – Teil 2: Leitartikel

,,Aromastoffe sind das absolute Alarmzeichen’’
Lebensmittelexperte Hans-Ulrich Grimm über industriell erzeugte Nahrung – Teil 2: Interview

Weil es noch gut ist
The Good Food rettet Lebensmittel, die sonst entsorgt würden – Teil 2: Lokale Initiativen

Einfach besser essen
Regional, saisonal, bio – drei Wege zur gesunden Nahrung – Teil 3: Leitartikel

„Wir haben von unten nach oben umverteilt“
Nachhaltigkeitsforscherin Martina Schäfer über Landwirtschaft und Ernährung – Teil 3: Interview

Zwischen Saat und Kompost
Im Gemeinschaftsgarten Grünstich in Bochum-Hamme – Teil 3: Lokale Initiativen

Weniger Werbung, weniger Kalorien
Der politische Kampf gegen Adipositas – Europa-Vorbild: Großbritannien

Glosse

HINWEIS