Für Opernhäuser sind „Ausgrabungen vergessener Werke“ eine Frage des Prestiges. Unter den Ersten bei einer Wiederaufführung zu sein, sorgt für Aufsehen – jedenfalls bei der Kritik und in der Fachwelt. Die Beachtung durch das Publikum steht auf einem anderen Blatt. Denn viele Opernfreunde haben mittlerweile erfahren müssen, dass es durchaus gute Gründe dafür geben kann, wenn ein Werk in der Versenkung verschwunden ist. Die Missachtung, mit der das Publikum allerdings die letzte Produktion dieser Dortmunder Spielzeit straft, erscheint kaum gerechtfertigt. Mit „Beatrice Cenci“ steht ein Werk eines Komponisten auf dem Spielplan, dessen vielversprechend begonnene Karriere jäh durch die Nazis abgewürgt wurde. Berthold Goldschmidt war Jude und Sozialdemokrat und musste deshalb 1935 nach England emigrieren, womit er zu einem Niemand in der Fremde wurde.
Nach dem Krieg konnte er zwar als Dirigent, nicht aber als Komponist wieder Fuß fassen. So sollte es ganze 44 Jahre dauern, bis seine zweite Oper – eben jene „Beatrice Cenci“ – ihre szenische Uraufführung erlebte. 1994 war das in Magdeburg, drei Jahre vor Goldschmidts Tod, und sie hinterließ keinen sonderlich nachhaltigen Eindruck. Dortmunds neuer Opernintendant Jens-Daniel Herzog setzte den rund zweistündigen Dreiakter trotzdem auf seinen Spielplan. Für diesen Mut gebührt ihm Anerkennung. Und es erscheint kaum nachvollziehbar, warum die Dortmunder Inszenierung von Johannes Schmid so sehr gemieden wird. An ihrer Modernität liegt es ganz sicher nicht, denn davon kann keine Rede sein. So ist zum einen Goldschmidts Tonsprache ausgesprochen spätromantisch und eingängig, zum anderen liefert Johannes Schmid nicht einmal ansatzweise Regietheater, wie es die Traditionalisten so sehr fürchten. Letzteres ist allerdings schade, weil der biografische Bezug der düsteren, auf realen Geschehnissen beruhenden Renaissance-Geschichte zu Goldschmidts eigenem Schicksal auf der Hand liegt. Es geht um einen Tyrannenmord an einem veritablen Monster.
Graf Cenci ist ein Sadist, der seinen Machtanspruch in der eigenen Familie brutal durchsetzt. Dabei schreckt er nicht einmal vor der Vergewaltigung der eigenen Tochter Beatrice zurück. Um dem Spuk ein Ende zu setzen, heuern Beatrice und ihre Stiefmutter Lucrezia schließlich zwei Auftragskiller an und lassen den Grafen beseitigen. Allerdings gelingt der Plan nicht vollständig. Der Mord fliegt auf, die Frauen werden dafür von der kirchlichen Justiz hingerichtet. So siegt am Ende nicht das Gute. Der Widerstand gegen die Tyrannei mag notwendig gewesen sein, doch er wird drakonisch bestraft. Goldschmidts Musik zeichnet keine sonderlich tiefgründigen Psychogramme, doch sie hat durchaus Ausdruckskraft. Jac van Steen zeichnet am Pult mit kräftigen Farben und Kontrasten. Und das Gesangsensemble, allen voran Christiane Kohl als Beatrice, Katharina Peetz als Lucrezia und Andreas Macco als Graf, bieten differenziert und durchaus intensiv gestaltete Partien.
„Beatrice Cenci“ I 5.7. 19.30 Uhr I Oper Dortmund I 0231 502 72 22
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