Lange galt Donizettis „Liebestrank“ als ziemlich biederes Stück. Dabei bietet der Buffo-Zweiakter der Regie eine durchaus dankbare Vorlage. „L´elisir d´amore“ ist eine leichte Gute-Laune-Oper mit beinahe beliebig ausschmückbarem Handlungsgerüst: Der etwas einfältige, aber sympathische Habenichts Nemorino ist in Adina verliebt. Die stammt aus reichem Hause, trägt die Nase deshalb ziemlich hoch und ignoriert Nemorino einfach, sobald der schneidige Offizier Belcore auftaucht. Nemorino fällt in einer Mischung aus Naivität und Verzweiflung auf einen Scharlatan herein, der ihm eine halbe Flasche Rotwein als Liebestrank verkauft – welche ihn beinahe ins Verderben, mittelbar dann aber doch noch zum Erfolg führt. Denn Nemorino erbt unerwartet ein Vermögen und wird so als Bräutigam interessant.
Vor allem junge Regisseure lassen sich die Gelegenheit zu so viel kreativem Freiraum heute nicht mehr entgehen. 2007 etwa verlegte Anette Leistenschneider in Hagen die Handlung an eine italienische Tankstelle der 60er Jahre. Sie zeigte mit viel Witz und Tempo einen kleinen, ölverschmierten Mechaniker Nemorino, der gegen schneidige Carabinieri und Mafiosi bei seiner adretten Chefin keine Schnitte hat. Nicola Glück reizte erst in diesem Frühjahr die überdrehte Komik der Handlung gar bis zum Anschlag aus. Ihr Liebestrank an der holländischen „Opera Zuid“ spielt in der Boxbude einer amerikanischen Highschool und kommt daher wie ein knallbunter Comicstrip – inklusive Gummiperücken für die Darsteller.
Andreas Baesler kehrt an der Essener Aalto-Oper gegen diesen Trend zur pittoresken Biederkeit zurück. Er verlegt die Handlung in ein Sanatorium des frühen 20. Jahrhunderts. Nemorino arbeitet dort als Page und ist in die Chefin des Kurhotels, Adina, verliebt. Die Kulisse ist prächtig, erinnert an Thomas Manns „Der Zauberberg“ - sowie Baeslers Inszenierung von Rossinis „Il Viaggio a Reims“, die 2003 in Gelsenkirchen in einem sehr ähnlichen Bühnenbild spielte. Die tollen Kostüme von Gabriele Heimann ergänzen den Dekor zu einem runden, wirkungsvollen Gesamtbild. Bloß packender Witz und mitreißende Spielfreude wollen darin nicht aufkommen. Stattdessen gibt es viele kleine nette Gags, die alle viel zu vorhersehbar sind, um wirklich komisch zu sein. Und so schleppt sich der Essener Liebestrank meist ziemlich träge dahin – pittoresk, bieder und reichlich langweilig.
Den großen Lichtblick bietet die musikalische Seite unter Leitung von Guillermo García Calvo, der bereits als neuer erster Kapellmeister in Essen gehandelt wird. Der junge Spanier dirigiert die Essener Philharmoniker mit Drive und federnder Leichtigkeit. Liane Aleksanyan singt die Adina mit brillantem, höhenstarken Sopran, Ho-yoon Chung (im Wechsel mit Andreas Hermann) vereint als Nemorino lyrischen Schmelz und jugendliche Strahlkraft, und Bariton Heiko Trinsinger überzeichnet charmant den allzu schneidigen Belcore. Bemerkenswert ist auch der Einsatz des Chores (Leitung: Alexander Eberle), den Regisseur Baesler übrigens zu beschäftigen weiß. So wirkt seine Inszenierung rein handwerklich auch durchaus passabel. Ohne zündenden Witz aber ist das nicht viel wert.
Der Liebestrank
Mi 14.9., 19:30 Uhr
Aalto Musiktheater Essen
Infos: 0201-8122200
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